Siedeln am Bach

Was braucht es, damit ein Quartier entsteht und nicht nur Einzelhäuser
nebeneinanderstehen? Auf jeden Fall gut geplante Freiräume mit hoher
Aufenthaltsqualität, öffentliche Wege und möglichst keine Zäune. Wie dies
den Gohm Hiessberger Architekten in der Wohnanlage „Am Dorfbach“
auf dem ehemaligen Wolff-Areal in Hard gelungen ist,
lässt sich am Freitag, dem 27. April 2018, im Rahmen
der vai-Reihe „Architektur vor Ort“ erkunden.
Als „Lebensader“ wird der Harder Dorfbach oft bezeichnet. Und das ist das zuvor biologisch tote Gewässer seit der Renaturierung vor ein paar Jahren auch wieder, zum Beispiel für die Seeforellen, die hier beste Bedingungen zur Fortpflanzung vorfinden. Über Jahrhunderte war er auch eine wirtschaftliche Lebensader. Das Gebäude der ehemaligen Eyth-Mühle, die bis 1904 als Getreidemühle betrieben wurde, ist ebenso Zeuge einer vergangenen Wirtschaftsgeschichte wie das darin noch bestehende Wäschegeschäft der Firma Wolff. Abgebrochen hingegen wurden die Betriebsgebäude am angrenzenden Areal, wo Johann Wolff an der Marktstraße 1910 ein Wohn- und Geschäftshaus errichtete, das die Formstecherei beherbergte, in der Schablonen und Druckformen für den Textildruck erzeugt wurden. Wie bereits das ehemalige Betriebsgebiet „In der Wirke“, wo nach dem Niedergang des Textilunternehmens ein neues nutzungsgemischtes Quartier entstanden ist, präsentiert sich das Ortsbild nun auch an diesem ehemaligen Industriegelände mit neuem Gesicht.
Mitten im Ort auf über 12.000 Quadratmeter Grundfläche einen neuen Ortsteil zu entwickeln, ist Chance und Herausforderung zugleich. Das Rathaus mit wenigen Schritten erreichbar, ein paar Minuten Fußweg zur Volks- und Mittelschule sowie den Geschäften an der Landstraße – viel günstiger könnte ein neuer Siedlungsgrund nicht gelegen sein. Das alte Fabriksgebäude und die angrenzende große Wiese haben sich aber auch im kollektiven Gedächtnis als idyllischer, mit Erinnerungen behafteter Ort festgesetzt. Eine Neubebauung bedeutet zwangsläufig Veränderung und birgt die Gefahr, den dörflichen Maßstab ins Ungleichgewicht zu bringen. Ganz richtig also, dass die Gemeinde darauf bestand, eine verträgliche Lösung mittels Architekturwettbewerb zu finden. Nicht nur Wohnungen, so der Wunsch, sondern auch gewerbliche Nutzung sollte Platz finden, um – der zentralen Lage adäquat – ein möglichst belebtes Quartier zu erhalten. Zur guten Anbindung an die umgebenden Siedlungsgebiete waren im Sinne kurzer Wege zudem öffentliche Durchgänge gefragt. Gohm Hiessberger Architekten aus Feldkirch konnten 2013 den Wettbewerb für sich entscheiden.
Im vergangenen Dezember wurde die Anlage fertiggestellt. Sechs kubische Häuser auf rechteckigem Grundriss mit drei bis vier Geschoßen bilden ein Ensemble. Eines tanzt formal aus der Reihe. Ein Stahlbeton-
skelettbau, ausgefacht mit Sandwichelementen mit taupe-farbener Außenverkleidung empfängt nächst dem oberirdischen Parkplatz. Das sehnig-muskulös wirkende Äußere entspricht seinem Zweck: „Alleskönner“ nennen die Architekten das Gebäude, das innerhalb seines konstruktiven Gerüstes mit einer hohen Flexibilität für zahlreiche Nutzungsoptionen aufwartet. Es bietet Platz für die geforderten gewerblichen Flächen und ist mit Raumhöhen von 2,80 bis drei Metern im Erdgeschoß und rund 2,80 Metern in den Obergeschoßen ausgestattet, um möglichst vielen Bedürfnissen gerecht zu werden. Im ersten Stock ist bereits eine Allgemeinmedizinerin eingezogen und das Erdgeschoß ist bereit, bald der Seeapotheke neuen Raum zugeben. In den beiden obersten Geschoßen wird gewohnt.
Optisch weicher mit weißer Putzfassade, elegant zurückhaltend und ohne überflüssigen Schnickschnack präsentieren sich die fünf ausschließlich für Wohnzwecke gewidmeten Häuser. Sie ähneln einander, sind aber nicht gleich, sondern unterschiedlich hoch und leicht gegeneinander verdreht, um frontale gegenseitige Einblicke zu verhindern, weite Aussichten zu ermöglichen und angenehme Raumbildungen im Freien zu generieren. Im Gegensatz zum Quader des Alleskönners
„fehlt“ ihnen eine Ecke. Die auf diese Weise ausgebildeten Winkel sind zum Siedlungsfreiraum gerichtet und geben den Eingängen Flankenschutz. An den Wegkreuzungen übernehmen niedrige Pavillons, teils winkelförmig ausgebildet, mehrere Funktionen. Sie sind Müllraum oder Fahrradgarage, integrieren auf schlaue Weise auch die Abluftschächte der Tiefgarage und bieten überdeckte Sitzbänke und Aufenthaltsplätze an. Innerhalb dieser Gebäudedisposition und darum herum entfaltet sich der von der Landschaftsarchitektin Nicoletta Piersantelli gestaltete Freiraum. Keine Zäune, sondern Hainbuchenhecken markieren die Grenzen der Privatgärten. Das beugt dem in Siedlungsfreiräumen oft so unangenehm wirkenden Käfigeffekt vor und sorgt für als Großes Ganzes wirkenden Grünraum. Wohnqualität beginnt hier nicht erst hinter, sondern bereits lange vor der eigenen Wohnungstür.
„Bei einer Anlage dieser Größe ist es wesentlich, die Freiraumgestaltung sorgfältig mitzu- bedenken.“

Mitten in Hard entstand ein großer neuer Ortsteil. Die Gliederung der Baukörper, die Durchwegung und ein in der Regel zaunfreies Inneres machen ihn als großes Ganzes erfahrbar und zugänglich.

Häuser, Gartenpavillons und Freiflächen bilden ein gut komponiertes räumliches Gefüge, überdachte Zugänge in den Gebäude-
winkeln ein geschütztes Entree.

Elegant zurückhaltend präsentieren sich die für Wohnzwecke gewidmeten Häuser mit weißer Putzfassade und großzügigen Öffnungen.

Der überaus ansehnlich gestaltete Freiraum und die durchführenden öffentlichen Wege fördern auf ungezwungene Weise nachbarschaftliche Begegnungen und die Vernetzung mit der Umgebung.

Gute Aussicht ist garantiert, ob in die dörflich anmutende Umgebung oder in die Bergkulisse. Aus der Schweiz grüßt der schneebedeckte Gipfel des Säntis.

Großzügige Loggien erweitern die Wohnräume ins Freie. Niedrige Parapete gewähren Menschen jeder Größe Ausblick aus jeder Lage,die massiven Brüstungen sorgen dennoch für Privatheit und ein harmonisches äußeres Erscheinungsbild.

Beinahe nahtlos geht der offene Wohnraum mit der zentralen Küche in den Außenraum über.

Lichtkuppeln bringen Tageslicht in die Gänge der Dachgeschoßwohnungen.

Nicht nur im „Alleskönner“, auch in den Wohngebäuden sorgen helle Stiegenhäuser für ein großzügiges Entree und verbinden die Geschoße.