Not macht erfinderisch

Kultur / 29.04.2020 • 10:59 Uhr

Die Art Basel Hongkong war die erste Messe, die dem Coronavirus zum Opfer fiel. Auch die Frieze findet in diesem Jahr nicht statt. Der Betrieb der Antiquitätenmesse Tefaf in Maastricht musste eingestellt werden. Jetteten Kuratoren, Künstler, Sammler und Kunsthändler von Event zu Event um den Globus, so ist der internationale Kunstzirkus nun unfreiwillig auf Bodenhaftung. Für den Handel kann der Shutdown und die damit verbundenen Umsatzeinbußen schnell existenzgefährdend werden.

Drehte sich das Kunstkarussell immer schneller, hoben immer mehr Flieger ab, um den Kunstjetset und seine Trabanten zu den immer neuen Messen, Biennalen und Ausstellungseröffnungen zu verfrachten, so heißt es nun Innehalten und neue Kommunikationswege für die Kunst zu erschließen. Denn Kunst lebt vom Austausch von Haltungen und Ideen, entsteht letztlich erst im Dialog zwischen Künstler, Werk und Rezipient. Ist Innovation ein Wesensmerkmal der Kunst, so braucht es nun auch neue Ideen, Kunst den Menschen näher zu bringen. Die Art Basel Hongkong ging voran. Mehr als 230 internationale Galerien aus dreißig Ländern zeigten ihre Kunst anstatt im Convention Center von Hongkong in digitalen Viewing Rooms und stießen auf reges Interesse.

Und die Biennale Sidney folgte. Sie ist die erste Biennale weltweit, die ausschließlich im Internet stattfindet.

Auch wenn die Unmittelbarkeit des Kunsterlebnisses durch nichts ersetzt werden kann, so wird nun zumindest klar, wie viele Reisen und Meetings man sich eigentlich sparen könnte.

Auch viele Galerien wollen digital präsent bleiben und stellen ihre Kunst ins Netz. Was bislang auf Messeständen oft verschämt bis arrogant verschwiegen wurde, Künstlername, Werk und Preise werden nun gerne angegeben. Auch wenn Galerien nun zaghaft, zumindest in Österreich, für limitiertes Publikum wieder öffnen, die Frage bleibt, inwieweit die Coronakrise als großer Beschleuniger der Digitalisierung dazu führen wird, dass wir in Zukunft umweltfreundlicher, einfacher, effizienter und besser zusammenarbeiten. Auch wenn die Unmittelbarkeit des Kunsterlebnisses – man denke etwa an die nur in ihrer Präsenz erlebbare Magie eines Lichtraums von James Turrell durch nichts ersetzt werden kann, so wird nun zumindest klar, wie viele Reisen und Meetings man sich eigentlich sparen könnte. Sind wir in die Ära der „virtuellen Reproduzierbarkeit der Kunst“ nun eingetreten? Die Antwort lautet wohl: Virtualität kann die für Kunst existenzielle Begegnungen und Weltoffenheit nicht ersetzen, aber sie kann sie ergänzen. Denn eines gilt auch in der Coronakrise: Not macht erfinderisch. Für den Kunsthandel ist das überlebenswichtig.

Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.