„Wir tanzen am Abgrund“

Günter Marinelli hat sein Tanz ist-Festival verlegt, die Jugendarbeit droht zu kippen.
Dornbirn, Bezau Rund 450 Jugendliche aus dem Bregenzerwald hat Günter Marinelli, Leiter des Tanz ist-Festivals, für ein Projekt gewonnen, das Aufführungen und Workshops vorsieht. Da zum jährlichen Festivaltermin im Juni so gut wie alles verboten ist, hofft er, dass das Programm im Herbst durchführbar ist. Vom 7. bis 15. November sind mehrere Ensembles am Dornbirner Spielboden zu Gast. Noch nicht bestätigt ist das Jugendprojekt. „Ich hoffe sehr, dass es noch klappt“, sagt er. Dass die Lehrkräfte in jenen Schulen, die er kontaktiert hat, verunsichert sind und noch keine konkreten Zusagen machen können, dafür hat er allerdings Verständnis. Wer Tanz ist kennt, weiß, dass die Arbeit mit jungen Menschen zu den Kernprogrammen des Festivals zählt. Namhafte Choreografinnen und Choreografen, die Marinelli nach Vorarlberg einlädt, engagieren sich seit Jahren auf diesem Gebiet.
Mehr als angespannte Situation
Die finanzielle Situation ist aufgrund der Covid19-bedingten Auftrittsverbote und Einnahmenausfälle mehr als nur angespannt. Wenn seine Subventionsgeber die Jahresförderung ausbezahlen, kann er sich heuer gerade noch über Wasser halten. Mit „wir tanzen nicht auf dem Vulkan, sondern bereits am Abgrund“, beschriebt er die Situation in der Tanzszene.
Wenn er höre, dass der verdienstvolle, international renommierte österreichische Choreograf Chris Haring seine Angestellten kaum halten kann und höchstwahrscheinlich kündigen muss, dann platze ihm aber schon der Kragen. „Zu behaupten, dass aufgrund der momentanen Situation neue kreative Formen entstehen können, halte ich für einen ausgemachten Blödsinn. Durch die Unterbrechung aller Aktivitäten sind vielmehr Hunderte kreative Prozesse zerstört worden.“
Er hoffe, dass sich die Situation bis in den Spätherbst bessert, weiß aber auch, dass es einige Künstlerinnen und Künstler nicht mehr schaffen werden. Wenn das „halbherzige, unprofessionelle Agieren“ der Politik so weitergehe, dann gibt es, so Marinelli, leider keinen Grund für eine optimistischere Sicht. Im Klartext heißt das, dass von den angekündigten Förderprogrammen bislang kaum etwas bis zu den Betroffenen vorgedrungen ist. „Ich würde sagen, mehr als 70 Prozent der Tänzerinnen und Tänzerinnen wissen nicht, ob sie überhaupt weiter existieren können“, sagt er.
Er selbst werde weiterkämpfen, betont er im Gespräch mit den VN. Florencia Demestri und Samuel Lefeuvre aus Belgien werden im November nach Vorarlberg kommen, ebenso das Ensemble Alleyne Dance aus Großbritannien und Chris Haring. Nach dem Motto „Angst frisst die Seele auf, Kunst aber frisst die Angst auf“, will man auch in Zeiten des Abstandhaltens Begegnungen und ästhetische Erlebnisse anbieten und die Lage reflektieren. Wenn alles gutgeht, sind auch die erwähnten Workshops dabei. Einer der Leiter ist der Österreicher Simon Mayer. VN-cd
„Wenn das halbherzige Agieren der Politik weitergeht, gibt es keinen Grund für Optimismus.“
