Die Leitlokomotive steht auf dem See

Kaufmännischer Direktor Michael Diem spricht über die finanzielle Situation der Festspiele ohne “Rigoletto”.
Bregenz „Es war der beste Kartenvorverkauf aller Zeiten“, verweist Michael Diem auf den komplexen Kern des Dramas. Der kaufmännische Direktor der Bregenzer Festspiele erläutert im Gespräch mit den VN die momentane Situation des Unternehmens, das erstmals seit seiner Gründung im Jahr 1946 zur Absage des Programms gezwungen war. 175.000 Besucher hatten ihre Tickets bereits vor der Coronazeit gesichert. 50 Prozent der Individualbucher haben sie für einen Platz im kommenden Jahr umgetauscht.
An eine derart hohe Zahl an treuen Besuchern hätte er nicht zu denken gewagt. Die andere Hälfte wünschte die Rücküberweisung des Ticketbetrages, wobei die meisten davon bekundeten, dass sie im Sommer 2021 wieder hier sein werden. Den Wiederverkäufern, das sind beispielsweise Busunternehmen, wurden die Kartenpreise erstattet. Auch wenn sie ihr gesamtes Kontingent für 2021 wieder einbuchen, fehlt den Festspielen, salopp gesagt, nun eine Menge Geld.
Rekordvorverkauf
Mit rund 16 Millionen Euro beziffert Michael Diem die Summe, die die Festspiele im Jahr 2020 bereits eingenommen hatten. Der Rekordvorverkauf ließ eine kaufmännisch gute Situation erwarten. „Unser Eigendeckungsgrad liegt bei 70 Prozent. Die verlieren wir komplett, was uns hilft, ist das Umbuchen.“ Wer die Finanzierungsmechanismen der Bregenzer Festspiele über die Jahrzehnte verfolgt hat, weiß, dass ohne die Einnahmen mit der Oper auf dem See vor knapp 7000 Besuchern nichts läuft. Aufführungen mit zulässigen 1250 Zuschauern wären – sofern die Künstler angesichts der Covid19-Auflagen überhaupt agieren könnten – ein finanzielles Desaster. „Der See ist der einzige Ort, an dem wir Deckungsbeiträge erwirtschaften, die wir auch für andere Produktionen verwenden. Mit der Leitlokomotive versuchen wir das gesamte Festival in Bewegung zu halten.“ Ab einer Auslastung von 90 Prozent erweist sich die Situation als günstig. In den letzten Jahren hatte man sie immer erreicht, mehr noch, die Aufführungen waren ausverkauft. Das gilt auch für die Neuinszenierung von Verdis „Rigoletto“ im vergangenen Jahr. Dass die spektakuläre Produktion Zugkraft hat, daran ließ auch Intendantin Elisabeth Sobotka keinen Zweifel. Über 200.000 Tickets hatte man heuer aufgelegt, mindestens so viele hält man für 2021 neben jenen für weitere verschobene Produktionen wie die Oper „Nero“ im Festspielhaus bereit.
Ausstieg aus den Verträgen
Die Seeproduktionen sind überhaupt auf zwei Jahre ausgerichtet. Die Bühnenaufbauten, die den Charakter der Festspiele zu einem großen Teil ausmachen, amortisieren sich erst bei einem Biennalkonzept. Wer meine, dass die spielfreie Saison keine Technikkosten verursache, der irrt, erläutert Diem. Dieses „wunderbare, bewegliche Bühnenbild“ müsse nun für eine längere Lebensdauer gehegt werden, während die Verschiebung der Puccini-Oper „Madama Butterfly“ in den Sommer 2022 nicht nur im künstlerischen Betriebsbüro für Aufwand sorge. Zudem sollen die grundsätzlichen Sanierungsarbeiten nicht ins Stocken geraten. Den Ausstieg aus den Verträgen mit jenem Personal, das jedes Frühjahr den Dienst antritt, sowie mit den Künstlerinnen und Künstlern, die aufgetreten wären, will Diem nicht weiter kommentieren. Juristische Feinheiten seien zu berücksichtigen. Nur so viel: Sich über Wasser zu halten, indem man die Mitarbeiter in Kurzarbeit schickt, dieses Coronaprinzip gelte für die Festspiele nicht in dem Ausmaß wie in anderen Unternehmen. Derweil gaben die Stadt Bregenz und das Land Vorarlberg Zusagen bezüglich der Jahressubvention. Die Meldung vom Bund fehlt noch.
Festtage im August
Vorsichtig schon bei der Absage angedeutet, planen die Festspiele heuer trotz allem ein Lebenszeichen. Das Programm für die Festtage vom 15. bis 22. August steht demnächst. Die Einnahmen werden aufgrund der beschränkten Besucherzahl gering sein.
„Es war der beste Kartenvorverkauf aller Zeiten. Diese 16 Millionen Euro fehlen uns jetzt.“