Mit sehr viel Feingefühl

Kultur / 19.06.2020 • 18:37 Uhr
Sieben Versuche zu liebenMaxim Biller, Kiepenheuer & Witsch, 356 Seiten

Sieben Versuche zu lieben

Maxim Biller, Kiepenheuer & Witsch, 356 Seiten

Maxim Biller präsentiert biografisches Material und Michal Cox ist sportlich.

Kurzgeschichten, Sachbuch Maxim Biller kommt von weither, besser gesagt seine Familie. Sie sind russische Juden, die vor Stalin geflüchtet, in die damalige CSSR ausgewandert sind und nach dem Prager Frühling nach Deutschland emigrierten. Biller studierte Literatur und Journalismus und war eigentlich immer schon ein recht frecher Schreiber. In den 1980er-Jahren, einer an sich ruhigen Zeit, wurde er mit seiner Kolumne aus dem Zeitgeistmagazin „Tempo“ „100 Zeilen Hass“ bekannt.

Für die heutige Zeit eine eher fragwürdige Benennung einer Kolumne, hatte sie damals den nötigen Pfeffer, um Aufmerksamkeit zu erlangen. Kolumnen voller Sarkasmus, Zynismus und einer Portion subjektive Wahrheit, die den deutschen Biedermann provozierten und schon lange bevor es Internet und Foren gab, für Gesprächsstoff sorgten. Biller legte Romane nach, wo er immer wieder seine eigene Biografie oder die seiner Familie miteinfließen ließ, oder ganz schonungslos in den Vordergrund stellte. Trotzdem ist er der Kurzgeschichte immer treu geblieben. „Sieben Versuche zu lieben“ ist seine neue Sammlung aus biographischen Materialien. Es sind Familiengeschichten, die einmal mehr seinen weiten Horizont und das literarische Feingefühl zeigen.

Die Geschichten werden vom russisch-jüdischen Milieu geprägt, in dem Biller aufgewachsen ist. Unentwegt kommen Freunde aus Russland auf Besuch, selber ist man oft im ehemaligen Osteuropa unterwegs. Es wird gegessen, gefeiert und diskutiert. In den ewigen Gesprächen am Küchentisch kommt immer wieder die Frage auf, ob man nicht doch in Prag oder in Moskau bleiben hätte sollen, inklusive der Diskussion, ob man zurückgehen soll, oder doch nach Tel Aviv oder New York auswandern sollte.

Überraschende Wenden

Die Geschichten werden von der starken Melancholie der Auswanderer geprägt, die viel zurücklassen mussten. Egal ob ein russischer Dichter zu Gast ist, oder der Besuch beim Exilpolitiker ansteht, den man über die eigene Familie befragt. Diese Geschichten haben viel Magie. Biller hält vor nichts zurück. In der letzten Geschichte feiert er seinen Abschied aus München, mit einem Fest auf den Stiegen der Kunstakademie am Siegestor. Die Party war fast vorüber, als unerwartet ein nicht eingeladener Gast kommt. Ein Freund aus den ersten Tagen an der Universität, der gedanklich weit abdriftete und zum rechten Politiker wurde. Mit dem sitzt er alleine auf der Stiege und trinkt Wodka. Schweigend, aber sehr vielsagend.

Themenwechsel: Fußball. Michael Cox hat ein Sachbuch verfasst. Auf den ersten Blick geht es in „Umschaltspiel“ um die wechselnden Vormachtstellungen diverser Länder im europäischen Fußball und zugleich um die scheinbar unbegrenzten finanziellen Möglichkeiten. Auf den zweiten Blick geht es um eine ganz interessante Völkerkunde, da eben verschiedene Fußballstile nicht zufällig in den Niederlanden oder in Deutschland erfunden wurden. Eine Annäherung an Europa von 1992 bis 2020. Wie wird es wohl weitergehen? Das Covid19-Virus weiß die Antwort.

UmschaltspielMichael Cox, Suhrkamp, 540 Seiten

Umschaltspiel

Michael Cox, Suhrkamp, 540 Seiten