Wider den totalitären Moralismus
Ein neuer totalitärer Moralismus greift um sich und vergiftet inzwischen nicht nur jede historische, gesellschaftliche, ja auch künstlerische Debatte. Da werden Denkmäler gestürzt, Redakteure von Zeitungen wegen des Zulassens anderer Meinungen gefeuert, Professoren wegen nicht konformer Aussagen gemobbt, Schauspieler und Regisseure selbstgerecht ohne jedes rechtsstaatliche Verfahren diskreditiert und vorverurteilt, Literatur wegen nicht zulässig erklärter Begriffe umgeschrieben, Kunstwerke, die nicht dem zeitgeistigen Moralkanon entsprechen aus Museen entfernt, Quoten als Beurteilungsmerkmale von Kunst eingefordert und Kunst ausschließlich nach ihrer sozialen und moralischen Relevanz beurteilt.
Nun ist auch die Berliner U-Bahn-Station Onkel Toms Hütte unter Beschuss der Rassismuspolizei geraten, der offenkundig entgangen ist, dass dessen Autorin Beecher Stowe dieses Buch als antirassistisches Statement verfasste und dass es Abraham Lincoln in seiner entschiedenen Gegnerschaft zur Sklaverei bestärkte.
Althergebrachte Bezeichnungen wie Mohrenbäu, Mohrenstrasse oder Gasthaus zum Mohren (übrigens Gründungsort der Deutschen Sozialdemokratie) werden zum casus belli eines neuen moralischen Puritanismus. Wer darauf hinweist, dass Mohr ursprünglich Menschen aus Marokko und Mauretanien bezeichnete und keineswegs negativ konnotiert war, Familien diesen Namen trugen und noch heute tragen und dass Rassisten mit dem „Nwort“ beleidigen und diskriminieren, aber nicht mit dem aus dem Sprachgebrauch verschwundenen Mohren, wird stante pede zum Rassisten abgestempelt. Mit derselben Logik müsste man wohl auch einen der drei Heiligen Könige, die schwarze Madonna und auch die Namen Mauritius und Moritz oder gleich die Nennung der Farbe Schwarz aus dem Sprachgebrauch verbannen.
Die neuen Gralshüter des Guten und Gerechten glauben sogar, man könne mit dem Verbot des Wortes Rasse den Rassismus aus der Welt schaffen. Selbstredend, dass Symbole, Begriffe und Demonstrationen den Vorrang vor den Mühen realer Sozial- und Gesellschaftspolitik haben.
Schuldig (und zu bestrafen) ist, wer anderer Meinung ist. In einer Welt, in der jede gesellschaftliche und persönliche Angelegenheit zur moralischen Frage verklärt wird, ist auch schuldig, wer den Müll nicht entsorgt oder gar die Zuwanderung vom Nutzen für das Zuwanderungsland abhängig machen will oder Churchill als Verteidiger von Europas Freiheit verehrt.
Dass die Rede- und Meinungsfreiheit als wesentliche demokratische Grundrechte und der Rechtsstaat dabei mit Füßen getreten werden, nehmen die Politisch Korrekten und dauerempörten Jakobiner gerne in Kauf.
In ihrer moralinsauren Welt haben Kritik, Dialektik oder gar Ironie keinen Platz mehr, die Verwerfungen unserer Geschichte, ja die Zerrissenheit und Mehrdeutigkeit von Persönlichkeiten, unsere Kulturgeschichte und kulturelle Identität sollen unter Verbot gestellt werden.
Es ist Zeit, sich gegen jede Form von Intoleranz zu wehren, ob sie von rechten Rassisten oder von den neuen Inquisitoren kommen.
„Es ist Zeit, sich gegen jede Form von Intoleranz zu wehren, ob sie von rechten Rassisten oder von den neuen Inquisitoren kommen.“
Gerald Matt
gerald.matt@vn.at
Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.