Kann Baden Sünde sein?
Vor ziemlich genau hundert Jahren, im August 1920, wurde der Schwimmclub Bregenz gegründet. Und dann, ein gutes Jahr später, am 1. Oktober 1921, schrieb der Stadtrat von Bregenz an die städtische Badeanstalt: „Es ist durch die städtische Schutzmannschaft festgestellt worden, dass am 25. vergangenen Monats die Mitglieder des Schwimmklubes sich in der Frauenabteilung der städtischen Badeanstalt photographieren ließen und dass während dessen ein Unbekannter zwei Besucherinnen der Anstalt in der Ankleidekabine belästigte.“ Das war natürlich eine Ungeheuerlichkeit, die geradezu nach Bestrafung schrie – wovon allerdings nichts überliefert ist. Die städtische Badeanstalt gibt es längst nicht mehr, die Trennung von Männlein und Weiblein beim Baden auch nicht mehr. Aber die Ausstellung „Kann denn Baden Sünde sein?“, die derzeit im Bregenzer Martinsturm (bis Ende Oktober) zu sehen ist, lässt so manche Geschichte aus alten Badezeiten am Bodensee wieder lebendig werden.
Auf einem Foto von 1902, wahrscheinlich vom Haggen aufgenommen, sieht man am Seeufer das Schanzbad, dann das Militärbad, die heutige „Mili“, und dann das größte Holzbad von allen, die städtische Badeanstalt. Leider verlor diese Anstalt trotz der Zulassung von Männern und Frauen zum gemeinsamen Baden mit der Eröffnung des ersten Strandbades 1935 an Bedeutung und wurde 1948 abgebrochen. Leider, sagen wir heute, denn die „Städtische“ war auch architektonisch ein Juwel.
„Der Blick zurück macht also ziemlich Spaß, der Blick von oben zeigt dazu, dass sich die Dinge wesentlich verändert haben.“
„Kann denn Baden Sünde sein?“ gibt – nicht zuletzt dank der alten Fotos und auch der Plakate für Bademode – einen erfrischenden Blick auf die Frühzeit des Badens. Der Leiter des Stadtarchivs, Thomas Klagian, hat mit seiner Mitarbeiterin Birgit Heinzle wieder einmal sein Feingefühl für scheinbar kleine Themen bewiesen. Beim Martinsturm kommt noch hinzu, dass man sozusagen den Ort des Geschehens, das Bregenzer Bodenseeufer, vom obersten Stock in seiner ganzen Pracht bewundern kann.
Der Blick zurück macht also ziemlich Spaß, der Blick von oben zeigt dazu, dass sich die Dinge wesentlich verändert haben, denn heute ist fast die gesamte Uferlänge des Sees zum großen Freibad geworden. Die Pipeline mit dem Steg ohnehin, aber natürlich auch die ganzen Bereiche bis zur Mündung der Bregenzer Ach. Und das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass das österreichische Seeufer frei zugänglich ist. Auf der deutschen und Schweizer Seite des Sees mag man lange suchen, bis man einen Platz zum Baden findet. Wir danken unseren Vorfahren für solche Weitsicht!
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
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