An der Uhr wird nicht gedreht

Kultur / 02.09.2020 • 19:01 Uhr
Ouvertüre zur Ausstellung von Atelier Van Lieshout im Kunstraum.
Ouvertüre zur Ausstellung von Atelier Van Lieshout im Kunstraum.

Ausstellung Atelier Van Lieshout im Kunstraum Dornbirn als perfekte Symbiose von Kunst und Raum.

Dornbirn Vor der Montagehalle des Kunstraum Dornbirn bäumt sich das, was einmal ein Volvo war, als rostig-zerquetschte Ouvertüre zur Ausstellung von Atelier Van Lieshout (AVL) auf. Im Inneren gemahnt eine monströs große mechanische Pendeluhr in Signalgelb an das unaufhaltsame und unwiederbringliche Verstreichen der Zeit. Das laute Tock, Tock, Tock, Tock des Zeitmessers hat in seiner Regelmäßigkeit etwas Beruhigendes, synchron mit dem Pendel und der akustischen Inszenierung schwingen aber Gedanken an die (eigene) Endlichkeit mit, denen man angesichts dieser massiven, frontalen Manifestation gar nicht auskommt. „Die Zeit kehrt niemals zurück“, sagt Joep Van Lieshout, Niederländer, Jahrgang 1963, Mastermind und Gründer des seit 1995 existierenden, international agierenden Atelier Van Lieshout. Und der Künstler hinter dem Label, denn „Es gibt viele Mitarbeiter bei AVL, aber nur einen Künstler“, wie Van Lieshout klarstellt, um den missverständlichen Begriff Kollektiv auszuräumen.

Die Idee zum Atelier, sprich der Werkstatt Van Lieshout, stammt aus einer Zeit, in der Joep, nachdem er mit Skulpturen und Möbel die Grenzen zwischen Kunst und Nicht-Kunst gesucht hat, nur noch als Handwerker tätig sein wollte. Die Arbeit mit und am Material war AVL von Beginn an wichtig, dazu gesellten sich bald wegweisende und utopische Projekte, aber nicht als blutleere Manifeste, sondern als reelle wirtschaftliche Strategien. So entstanden ab 1995 die Mobile Homes als eigenwillige Survival Units, die sich wie eine Vorwegnahme heute aktuell diskutierter Wohnmodelle ausnehmen. Eine schwimmende Abtreibungsklinik, Schnaps brennen und Waffen produzieren gehörten ebenfalls zu den künstlerischen Aktivitäten. Eine und die wohl größte dieser Visionen war der freie und unabhängige Staat „Ville“ in den Werkstätten von AVL in Rotterdam, mit eigener Verfassung, Währung und Flagge. Der Traum vom sich selbst versorgenden, autonomen Freistaat als provokativer Gegenentwurf zum bestehenden, monopolistischen System, währte nur kurz, wurde behördlich untersagt, beeinflusste jedoch die nachfolgenden Arbeiten maßgeblich.

Zerstörung und Veränderung

Fortan stand nicht mehr das Freiheitsideal im Zentrum der künstlerischen Auseinandersetzung, sondern die Unfreiheit, Repression und das Diktat einschränkender Gesellschaftssysteme. Veränderung tut not und sind für AVL unbedingt notwendig, „auch wenn die meisten Menschen keine Veränderungen mögen“. Die Frage, ob diese Veränderungen abrupt und revolutionär, oder evolutionär daherkommen sollen, ist in der großangelegten und großartigen Installation im Kunstraum Dornbirn schnell beantwortet. „Pendulum“, die Uhr im Zentrum der Schau, lässt nicht nur alle Viertelstunde einen Gong ertönen. In regelmäßigen Abständen löst sie einen Mechanismus aus, wird zum Antrieb und Katalysator, der maschinenhafte Werke in Signalgelb wie eine Presse, eine Abrissbirne, eine Wasserpumpe oder eine Winde in Betrieb setzt, deren offensichtliche Funktionen brachiale Veränderung sind. Zum Schutz der Besucher sind die Veränderungsprozesse nicht live zu sehen, sondern in Videos, die die Kraft hinter den Aktionen ziemlich drastisch darstellen.

Geschirrspüler, Boiler und Co.

Alle Teile der Installation sind mit dem Raum verbunden, gelb-schwarze Absperrbänder signalisieren Gefahr, und tatsächlich wären einige der Teile, so man sie betätigen würde, imstande, die Halle in Schutt und Asche zu legen. Doch der Zerstörung wohnt immer auch schöpferische Kraft inne. Denn die anfallenden Einzelteile oder der gepresste Boiler, der zerquetschte Geschirrspüler und der deformierte Einkaufswagen werden ihrerseits wieder in den Kreislauf zurückgeführt, indem sie zu humorig betitelten Skulpturen wie „Calgon“ oder „Mensch“ werden oder einfach als Ansammlungen von scheinbarem Schrott auf dem Boden der Halle liegen. Seine Auffassung von Kunst sei es, mit der Kunst Wege zu betreten, die noch niemand gegangen sei, sagt Joep Van Lieshout. Das gelingt ihm seit Jahren, selten jedoch war die Symbiose zwischen Kunst und Raum so perfekt wie im Kunstraum Dornbirn. Der Titel „The Clock which will Solve every Problem in the World“ ist natürlich der pure Zynismus, aber schön wäre es schon, wenn es so eine Uhr gäbe.

Am Freitag, 4. September, 14 Uhr, ist im Kunstraum ein Künstlergespräch mit Joep Van Lieshout geplant. VN/Hartinger
Am Freitag, 4. September, 14 Uhr, ist im Kunstraum ein Künstlergespräch mit Joep Van Lieshout geplant. VN/Hartinger

Zur Person

Joep Van Lieshout

Geboren 1963 in Ravenstein/NL

Ausbildung: Akademie Moderner Kunst, Rotterdam etc.

Aktivitäten künstlerischer Durchbruch 1989 mit der Möbelserie „Collection 1989“, internationale Ausstellungstätigkeit, Zusammenarbeit mit Rem Koolhaas, Aufträge im architektonischen Bereich

Auszeichnungen Prix de Rome, Wilhelmina-Ring Sculpture Award, Kurt-Schwitters-Preis u.a.

Wohnort Rotterdam

Eröffnung der Ausstellung im Kunstraum Dornbirn, Jahngasse 9, am Donnerstag, 20 Uhr. Ausstellungsdauer bis 8. November, geöffnet täglich von 10 bis 18 Uhr.