Ein Konzert von beklemmender Aktualität

Francisco Obietas Vision einer bevorstehenden Krise wurde von der Wirklichkeit überholt.
FELDKIRCH Nach zwei wegen des Lockdowns abgesagten Anläufen im März und Mai konnte das dritte Projekt von „PulsArt“, dem vor zwei Jahren gegründeten ambitionierten Ensemble für Neue Musik am Landeskonservatorium, endlich aufgeführt werden. Die Freude darüber war den insgesamt 24 Studenten des Hauses, die mit vier Werken auftraten, ebenso ins Gesicht geschrieben wie dem vielseitigen musikalischen Leiter Benjamin Lack, der nach dem Ausstieg des Komponisten Herbert Willi als Mitbegründer das Projekt im Alleingang weiterführt.
Das Hauptaugenmerk dieser Matinee liegt auf der Uraufführung des neuesten Werkes von Francisco Obieta (63). Der aus Argentinien stammende, in der Schweiz lebende Musiker wirkt seit 1992 als beliebter Dozent für Kontrabass und Kammermusik am Haus und hatte in der Vergangenheit als Komponist vor allem mit seinen eingängigen Tangoopern und Oratorien Erfolg. In seinem albtraumartigen Stück „A Fallout of Nightmares“ für zwei Streichquintette, das er vor Ausbruch der Pandemie geschrieben hat, warnt er wie in einer Vision vor einer Verdunkelung am Horizont der Menschheit durch eine kommende Katastrophe, nennt es im Untertitel auch „A XXI Century Awakening“, also ein Aufrütteln des 21. Jahrhunderts angesichts der vielen sozialen, ökologischen, wirtschaftlichen und politischen Probleme. Inzwischen wurde diese Vision zu einer brutalen Realität, mit der die Welt seither zu kämpfen hat.
In seinem 20-minütigen Werk geht Obieta mit neun Abschnitten ins Detail, nennt die Probleme beim Namen. In dem offensichtlichen Bemühen, populär zu bleiben und die Zuhörer nicht mit allzu Neutönerischem zu überfordern, ist die musikalische Umsetzung freilich zu oberflächlich geraten: der „Konflikt“ etwas geschwätzig, die „Taubheit“ in vibratolos fahlen Klängen, das „Weinen der Erde“ in absteigenden Glissandi, die „Arroganz der Macht“ in fetten Streicherakkorden. Doch dazu ist das Thema zu ernst, die Botschaft verpufft. Die zehn Streicher vom Ensemble PulsArt, dem das Werk gewidmet ist, bemühen sich um eine engagierte Umsetzung, die vom Publikum mit demonstrativer Herzlichkeit speziell für den Komponisten aufgenommen wird. Insofern also ist seine Rechnung aufgegangen.

Jedenfalls bleibt dieses Werk im weiteren internationalen Programm, das trotz des Vormittags-Termins dem Motto „Nacht“ gewidmet ist, das harmloseste. Außer dem bereits 1975 verstorbene Italiener Luigi Dallapiccola in seiner duftigen „Piccola musica notturna“, seiner „Kleinen Nachtmusik“ von 1961, langen die beiden weiteren lebenden Komponisten mit Stücken aus den Achtzigern ordentlich zu, was ihre Ausdrucksmittel der „zeitgemäßen“ Musik jenseits der Tonalität in aufregenden Klangschichtungen, Schärfen und Dissonanzen betrifft. Das gilt für den Amerikaner Kamran Ince mit seinen „Waves of Talya“, den farbenreich folkloristisch angehauchten „Wellen von Antalya“, die er mit viel Percussion in energetische Bandbreiten treibt, ebenso wie für das jazz- und rhythmusbestimmte, mit Saxofonen und Blech größer besetzte „Release“ des Briten Mark-Anthony Turnage. Jedes einzelne dieser Stücke erhält in seiner speziell unterschiedlichen Besetzung sehr detaillierte Zuwendung durch den Dirigenten Benjamin Lack, der sich auch als kundiger Führer durch diese fremdartigen Welten erweist. Für die Studenten aber ist diese intensive Befassung mit neuer und neuester Musik im Rahmen ihrer Ausbildung eine enorm wichtige Erfahrung, die sie mit Begeisterung umsetzen. Fritz Jurmann
Weitere Aufführungen: 27. Oktober, 20 Uhr, Platzkeller St. Gallen; 28. Oktober, 19 Uhr, vorarlberg museum, Bregenz.