Der Schmusechor steht trotz Corona nicht still

Chorleiterin Verena Giesinger im VN-Interview über die Gründung des Popchors und aktuelle Projekte.
Wien Seit fünf Jahren leitet die aus Altach stammende Dirigentin Verena Giesinger den Schmusechor in Wien. Der Popchor hat sich in den letzten Jahren in der heimischen Musikszene einen Namen gemacht und überzeugt mit stimmgewaltigen Sängern und extravaganten Auftritten. Der Schmusechor kann außerdem auf eine Vielzahl an künstlerischen Kollaborationen, unter anderem mit Mira Lu Kovacs, Oehl und Efterklang, zurückblicken. Obwohl Corona Auftritte derzeit unmöglich macht, will der Schmusechor nicht stillstehen und veröffentlicht als Hommage an bessere Tage eine neues Musikvideo zum Song „Heavenly Father“.
Sie haben vor fünf Jahren den Schmusechor in Wien gegründet. Wie ist die Idee zu diesem Projekt entstanden?
Ursprünglich wollte ich selbst in einem Chor mitsingen. Als ich mich auf die Suche machte, bemerkte ich, dass die Wiener Chorszene hauptsächlich aus Kirchenchören, Uni-Chören oder klassischen Chören besteht. Ich sehnte mich allerdings nach etwas anderem, neuem, nach mehr Spielraum und nach einem Repertoire, das breit aufgestellt ist und von den Comedian Harmonists bis Rap, Hip-Hop oder Schnulzenpop viele Genres umfasst. Ich habe dann kurzerhand in meinem WG-Zimmer begonnen, mit Freunden Aloe Blacc und Robyn zu singen, und schon kam der Ball ins Rollen. Nach wenigen Wochen wurde mein Schlafzimmer zu klein, der Schmusechor zog mit einem Künstlerkollektiv gemeinsam in ein Atelier und bespielt nun seit 2015 Bühnen und Festivals in und rund um Österreich.
Für all jene, die euch noch nicht kennen. Wie lässt sich der Schmusechor am besten beschreiben?
Wir hören es nicht gerne, aber wir werden oft als Hipsterchor bezeichnet (lacht). Man stelle sich einen bunt gemischten Haufen an ausdrucksstarken Menschen vor, die gerne und überall miteinander singen, performen, Schabernack treiben und versuchen, mit Spaß an guter Musik ein veraltetes Stereotyp von Chören zu entstauben und ins Jetzt zu bringen.

Für was steht der Schmusechor und inwiefern hebt ihr euch von anderen österreichischen Chören ab?
Wir stehen für viel Freude am Singen und am Performen, für ein wildes Repertoire, das bei David Bowie anfängt und über Feist hin zu den Backstreet Boys geht. Ebenso markant sind unsere kreativen Outfits, die wir für jeden Anlass neu konzipieren. Dass wir alle gerne schmusen, versteht sich, denke ich, von selbst (lacht). Es geht weniger darum, sich von anderen Chören abzuheben, als die Diversität und das Angebot an Chören zu erweitern. Wenn wir dazu inspirieren können, dass viele wieder den Spaß am Singen mit weniger Leistungsdruck zurückgewinnen und mehr junge Menschen – vor allem auch mehr Frauen – Chöre gründen, fänden wir das schon super.
Corona hat das Kulturleben weitgehend zum Stillstand gebracht. Wie sehr vermisst ihr das Proben und das gemeinsame Singen?
Sehr! Uns allen macht der Stillstand in der Kulturszene zu schaffen. 2020 wäre für den Schmusechor eines der aktivsten Jahre gewesen, voll mit Konzerten, Theaterproduktionen, bei denen wir mitgesungen hätten, und sogar ein eigenes „Schmusical“ war in Planung. In dem kurzen Zeitfenster zwischen Lockdown eins und zwei haben wir versucht, vieles unterzubekommen. Aber mit Maske und zwei Meter Abstand oder gar über Zoom zu singen – da fehlt zu vieles. Die Auswirkungen der physischen Distanz sind für uns als Chor und für mich als Chorleiterin jetzt schon deutlich spürbar.
Welche Botschaft steckt hinter dem Song „Heavenly Father“, und wie wichtig war es euch, das Musikvideo gerade jetzt zu veröffentlichen?
Ich habe das Lied auf einer Reise durch Israel entdeckt, seitdem hat der Song mir persönlich schon durch die eine oder andere Krise geholfen. Es ist bislang das einzige Lied, welches wir in einem kleineren Schmusechor-Ensemble singen, dadurch bekommt es etwas sehr Intimes, Runtergebrochenes, lässt viel Raum für Gefühle. Justin Vernon aka Bon Iver hat sein Album in einer einsamen Hütte – also in Isolation – geschrieben, das könnte wohl passender für die jetzige Zeit kaum sein. Während er sich in den Lyrics mit seinem eigenen Konflikt zum religiösen Glauben beschäftigt, ist der Song für uns sehr von Hoffnung geprägt, Zuversicht und vor allem durch Verbundenheit mit anderen. Wenn es das bei der einen oder dem anderen in dieser herausfordernden Zeit auslöst, freut uns das sehr.
Wie sieht die Zukunft des Schmusechors aus?
Planung im Kunst- und Kulturbereich ist aktuell schwierig, dennoch blicken wir dem neuen Jahr positiv entgegen. Einige Produktionen sind auf 2021 verschoben worden, außerdem haben wir im Sommer bei einer österreichischen Serie mitgespielt, die hoffentlich im Frühjahr ausgestrahlt wird. Sobald wir wieder proben dürfen, wird an unserem eigenen „Musical“ weitergearbeitet.
Wird man euch auch in Vorarlberg hören?
Das hoffen wir doch! Im Schmusechor wird viel von Vorarlberg und seit dem Konzert beim FAQ insbesondere vom Bregenzerwald geschwärmt. Vielleicht können wir in 2021 ja endlich unseren Traum von einem Tourbus verwirklichen.
Der Schmusechor veröffentlicht das Musikvideo zu „Heavenly Father“ am 15. Dezember um 7.30 Uhr auf YouTube. Alle Infos zum Chor unter: www.schmusechor.at