Wer sind wir morgen?
Auf der Außenwand des Vorarlberger Landestheaters zum Kornmarktplatz steht eine großgedruckte, interessante Frage: „Wer sind wir morgen?“ Eine ziemlich kühne Frage, wissen wir doch in Zeiten wie diesen nicht einmal, wer wir heute sind, auch nicht, wer wir gestern waren. Es ist alles durcheinandergekommen. Die Vergangenheit, die Gegenwart sowieso und vor allem die Zukunft. Nichts, aber schon gar nichts lässt sich sagen, nichts auch nur ahnen. Und wenn, dann ist das meist ein Fortschreiben des unsicheren Gegenwärtigen. Also, wohin will die Intendantin des Vorarlberger Landestheaters, Stephanie Gräve, mit ihrer Frage?
Bleiben wir beim Theater, fragen wir bei großen Theaterschriftstellern nach. Etwa beim bedeutenden Schweizer Friedrich Dürrenmatt, dessen 100. Geburtstags wir vor gut einem Monat gedachten. Was meint er zum Morgen, zur Zukunft: „Die Wirklichkeit ist nur veränderbar, insofern sie noch nicht ist. Wir können versuchen, die Zukunft zu beeinflussen, das ist alles.“ Ziemlich genau das versuchen wir derzeit, wir wollen die Zukunft beeinflussen, indem wir das Virus erkennen, bekämpfen und letztlich unschädlich machen. Das wäre unsere Zukunft. Ein anderer, der Amerikaner John Steinbeck, hat unsere Zeit offensichtlich nicht vorausgesehen, denn er sagte: „Das Merkwürdige an der Zukunft ist wohl die Vorstellung, dass man unsere Zeit später die gute alte Zeit nennen wird.“ Ich fürchte, das wird man nicht tun, zumindest die derzeitigen Jahre nicht. Die werden auch in der Rückschau nicht mehr zu verklären sein. Nehmen wir noch den alten Satiriker oder – wie immer sie wollen – Zyniker, George Bernard Shaw, der in seinem Pygmalion meinte: „Man hat Zeit genug, an die Zukunft zu denken, wenn man keine Zukunft mehr hat.“ Dem wollen wir uns doch nicht anschließen, denn wir sind ganz sicher, dass wir nach der schwierigen Zeit wieder eine Zukunft haben. Und weil wir das glauben, nehmen wir noch einen der großen Denker, den britischen Philosophen Bertrand Russell, als Zeugen für unsere Hoffnung: „Die Zukunft des Menschen steht auf dem Spiel; sie ist gesichert, sobald nur genügend Menschen sich dieser Einsicht nicht verschließen.“
Damit genug der gescheiten Worte, brechen wir die Sache auf unsere einfachere Ebene herab. Wir werden dieser Pandemie trotzen, wir werden wieder Kultur haben, wir werden wieder ins Theater gehen, in Lesungen, in Konzerte, wir werden Bücher am Strand und nicht nur im Bett lesen, wir werden uns in Ausstellungen treffen und miteinander ein gutes Glas trinken. So viel zur Frage: „Wer sind wir morgen?“
„Die Wirklichkeit ist nur veränderbar, insofern sie noch nicht ist. Wir können versuchen, die Zukunft zu beeinflussen, das ist alles.“
Walter Fink
walter.fink@vn.at
Walter Fink ist pensionierter Kulturchef des ORF Vorarlberg.
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