Killt das Virus die Wiener Kaffeehauskultur?

Kultur / 22.02.2021 • 18:28 Uhr

Der große österreichische Schriftsteller Stefan Zweig schwärmte in seinem autobiografischen Werk „Die Welt von gestern“ vom Wiener Kaffeehaus als einer „Institution besonderer Art, die mit keiner ähnlichen der Welt zu vergleichen ist, eine Art demokratischer, jedem für eine Schale Kaffee zugänglicher Club.“ Viele Metropolen haben Opernhäuser, Theater und Kunstmuseen, doch nur Wien hat sein Kaffeehaus. Ganze Künstlergenerationen von Hundertwasser oder Qualtinger im Hawelka bis Thomas Bernhard im Bräunerhof lebten und arbeiteten in ihrem Kaffeehaus. Thomas Bernhard erklärt gar seine Hassliebe zum Wiener Kaffeehaus, das er „tagtäglich aufgesucht habe“ zu seiner „unheilbarsten Krankheit“, zu seiner „Kaffeehaussuchtkrankheit“.

Auch wenn man im Café Florian in Venedig den besseren Cappuccino bekommt, wenn das Café New York in Budapest auch pompöser sein mag und das Schober in Zürich die bessere Schokolade offeriert, ist das Wiener Kaffeehaus dennoch einzigartig.

Andrea Maria Dusl erhebt das Wiener Kaffeehaus in Der Zeit zum mythischen Ort : „Ins Wiener Kaffeehaus, ging und geht man, um sichtbar unsichtbar zu sein, ungestört zu stören, und, wie es so treffend heißt, nicht daheim zu sein und doch zu Hause.” Wiens Kaffeehaus ist ein öffentliches Wohnzimmer und ist vielen Wienerinnen und Wienern zur zweiten Heimat geworden, eine Agora, an der Politik, Geschäfte und Literatur gemacht werden, Liebesgeschichten ihren Anfang und Ende nehmen und natürlich Kaffee vom Einspänner bis zum Franziskaner serviert wird.

Wiens Kaffeehäuser haben so manche Krise von der Espresso- Stehkaffeeinvasion der 50er bis hin zu den Immobilienspekulationen der letzten Jahre überstanden. Die Corona-Pandemie und die nicht mehr endenden Lockdowns bedrohen jedoch nun ihre Existenz. So hilfreich der Umsatzersatz und Kurzarbeit bislang waren, nun geht den Kaffeehäusern die Coronakrise zunehmend an den Kragen. So musste das im Jahre 1907 eröffnete Wiener Jugendstilcafe Ritter in Ottakring, das auch durch Stammgäste wie Fußballlegende Ernst Happel bekannt wurde, Insolvenz anmelden. Ein Aufschrei kam auch vom altehrwürdigen Café Landtmann, das wegen ausbleibender Mietzahlung sogar mit einer Räumungsklage bedacht wurde. Da drängt sich ein Verdacht auf: Nutzen gierige Vermieter hier die Not der Stunde, um nach der Krise profitabler vermieten zu können? Droht eine Horrorvision wahr zu werden: ein Supermarkt im Café Landtmann, ein Luxusfetzengeschäft im Cafe Bräunerhof und eine McDonald’s-Filiale im Café Ritter.

Im Interesse der Lebensqualität bedarf es längst des Schutzes und der Unterstützung der vielen wunderbaren Wiener Kaffeehäuser von einem strengeren Denkmalschutz über kulturellem Mieterschutz bis zu öffentlichen Investitionsförderungen. Was jedoch jetzt Not tut ist Solidarität, vor allem auch ein Entgegenkommen der Vermieter. Eine private Initiative, der sich nun die Stadt Wien und einige Unternehmen von Rewe über Siemens bis zur Donauversicherung anschließen, versucht nun mit dem Club der Kaffeesieder durch gezielte Maßnahmen wie z.B. Mietunterstützungen und Incentives über die schwierige Zeit der Epidemie zu helfen. Letztlich jedoch können nur jene, die wie ich auch an der „Kaffeehaussuchtkrankheit“ leiden, die Wiener Kaffeehauskultur retten, indem wir sobald die Kaffeehäuser wieder öffnen, ihnen durch gehäufte Besuche die Treue erweisen.

„Wiens Kaffeehäuser haben so manche Krise von der Espresso-Stehkaffeeinvasion der 50er bis hin zu den Immobilienspekulationen der letzten Jahre überstanden.“

Gerald Matt

gerald.matt@vn.at

Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.