Eine performative Heimatsuche beim Walserherbst

Kultur / 25.08.2021 • 17:00 Uhr
Eine performative Heimatsuche beim Walserherbst
Seit zehn Jahren ist Mayer als freischaffender Choreograf, Musiker und Performer erfolgreich und tritt mit seinen Bühnenstücken international auf. REmi Angeli

Simon Mayer gastiert mit der Performance „SunBengSitting“ beim Walserherbst.

RAGGAL Die Kunstsparte Tanz war bislang noch nie explizit beim Walserherbst vertreten. Für die beiden Kuratoren Dietmar Nigsch und Eugen Fulterer ist es ein Experiment, ob und wie die Veranstaltung „SunBengSitting“ mit Simon Mayer angenommen wird. Die außergewöhnliche Biografie des Künstlers passt jedenfalls gut ins Konzept des „steilsten Festivals in den Bergen“.

Ihre Biografie umfasst sehr spannende Lebensstationen. Wie sieht Ihre berufliche Entwicklung aus?

Ich bin Choreograf, Musiker, Performer und Workshopleiter. Ursprünglich komme ich aus Oberösterreich/Innviertel und bin am Biobauernhof meiner Eltern mit Volksmusik und Volkstanz aufgewachsen. Später war ich in der Staatsopernballettschule, als Ausgleich habe ich in einer Heavy Metal Band gespielt. Als es mir im Staatsopernballett später zu eng wurde, ging ich nach Brüssel, um bei PARTS – in der Schule der bekannten Choreografin Anne Teresa de Keersmaeker zeitgenössischen Tanz und Choreografie zu studieren. Nach dieser Ausbildung war ich dann in Anne Teresas Company ROSAS. Und als mir das dann auch wieder zu eng wurde, machte ich mich mit meinen eigenen Bühnenstücken und eigener Musik selbstständig.

Warum der Titel „SunBengSitting“?

Die Zeit in meiner Heimat Andorf und das Aufwachsen mit Volkskunst haben mich sehr geprägt. Das Interesse, mehr über meine Wurzeln zu entdecken, über meine Liebe zur Volkskunst und mich intensiver mit dem Begriff „Heimat“ zu beschäftigen kam, je weiter ich von Österreich wegging. Ich habe sehr viel meditiert und war oft auf Schweigeretreats. Meine Mutter konnte das anfangs nicht verstehen und meinte, es sei nicht gut ist für mich, weil es mich nur noch mehr in die Gedankenspiralen reinbringt. Irgendwann war ihr aber klar, dass das Gegenteil der Fall ist. Sie meinte: „Meditieren ist also wie auf der Sunbeng sitzen. So wie dein Großvater nach getaner Arbeit als Bauer am Abend mit der Pfeife auf der Sunbeng gesessen ist, zufrieden auf die Felder geschaut und ‚spakaliert‘ (eine Mischung aus Reflektieren, Kontemplieren und Nachdenken) hat.“ Also eine Art Bauernmeditation. Das hat mich inspiriert.

Was erwartet die Besucher bei Ihrer Performance?

Es ist eine performative Heimatsuche. Eine Konfrontation mit dem, was Heimatgefühle bedeuten, und wodurch sie manipuliert werden. Was mir wichtig ist, ist, hinzuschauen statt sich wegdrehen. Volkskunst wurde von den Nationalsozialisten stark manipuliert und instrumentalisiert. Es ist Zeit, mit dieser Vergangenheit endlich abzuschließen, indem man sich ihr widmet. Nicht nur mit Gedenkkultur, sondern mit Gefühlskultur, Verkörperung und Expressivität. Die Nähe zu diesen Thematiken kann nur durch Spüren entstehen. Also mal fühlen, wie weh es tut, wenn der Schuhplattler zu einer Selbstverstümmelung wird, weil man unbedingt seine Männlichkeit und seine soldatische Stärke beweisen muss, oder eben zu spüren, wie viel Lebensfreude in diesem Tanz stecken kann, wenn man ihn neu entdeckt und der Tradition entsprechend ihr zeitgenössische Lebendigkeit und Spontaneität lässt.

Das Wort „Bauer“ hat für Sie eine eigene Begrifflichkeit?

In der Ballettschule in Wien wurde ich als „Bauer“ beschimpft, wenn ich „schlecht“ getanzt habe. Daher war ich anfangs nicht sehr stolz darauf, ein Bauernsohn zu sein. Danach waren plötzlich alle so scharf drauf, einen Garten zu haben, einen Bauernhof zu kaufen, aufs Land zu ziehen, alles sollte bio sein. Da habe ich mich dann auf einmal akzeptiert und gesehen gefühlt. Das war mein Bauern-Outing. Mittlerweile ist Bauer für mich ein Begriff, den ich unglaublich wertschätze und der für mich neben konventionellen Giftspritzern auch Menschen vertritt, die tolle Ideen haben, naturverbunden leben, achtsam mit der Umwelt umgehen und oftmals totale Multitalente sind. Ich kenne viele Bauern, die musizieren, tanzen, aber auch handwerklich begabt sind.

Welche Bedeutung hat die Veranstaltungsreihe Walserherbst für Sie?

Ich liebe Initiativen, denen es etwas wert ist, zeitgenössische Kunst in den ländlichen Raum zu bringen und somit Brücken zwischen Kunst und Publikum zu schlagen. Ich bin begeistert von den verschiedenen Formen, mit denen Kunst und Kultur vermittelt wird, von dem großzügigen, herzlichen und experimentierfreudigen Team des Walserherbsts, die mutig genug sind, mich und meine Motorsäge nackt schuhplatteln zu lassen. Monika Bischof

„SunBengSitting“ von Simon Mayer: 26. August, 20 Uhr, Walserhalle Raggal