Innenschau, Nummernrevue und nicht unter 18

Kultur / 14.09.2021 • 21:56 Uhr
Szene aus „Kurze Interviews mit fiesen Männern“. Schauspielhaus/boesch
Szene aus „Kurze Interviews mit fiesen Männern“. Schauspielhaus/boesch

„Kurze Interviews mit fiesen Männern“ nach David Foster Wallace.

Zürich Auf seiner Website warnt das Schauspielhaus vor „verbaler Gewalt“ und vor „Live-Sex“. Die Aufführung sei nur zulässig für ein Publikum ab 18 Jahren und man könne sie auch jederzeit verlassen. Für „Kurze Interviews mit fiesen Männern – 22 Arten der Einsamkeit“ nach einer Vorlage des US-Amerikaners David Foster Wallace (1962-2008) in der Schiffbauhalle hat die Regisseurin Yana Ross eine Frau und einen Mann aus der Pornobranche mit an Bord geholt. Als Vorspann, als eine Art von Initiations-Kick zu diesem Abend, für den eigens ein „Intimitäts-Coach“ engagiert worden ist, liefert das Profi-Paar bei der Premiere eine Live-Sex-Probe ab. Nein, durchaus kein Skandal. Aber halt irgendwie verzichtbar. Und „danach“?  Was ist mit den „fiesen Männern“?

Groteske

Ross hat nicht eine abendfüllende Breitseite gegen das vermeintlich starke Geschlecht abgefeuert, sondern protokolliert vor allem viel Einsamkeit. Das Problem ist, dass der Abend zum Doppelthema Sexualität und Beziehungslosigkeit sich zu wenig entscheidet, was er nun eigentlich will: Unterhaltsam sein oder in die Tiefe schürfen? Mit Menschen im Cowboy-Look auf der als Bungalow mit Terrasse und Pool hergerichteten Bühne balanciert das Ganze so auf einem Grat zwischen psychologischer Innenschau und Nummernrevue. Da sagt zum Beispiel der Mann, der soeben noch wie tot auf einem Liegestuhl lag, er schreie beim Orgasmus wie unter Zwang politische Statements heraus. Die Frau, die das detailreiche Porträt ihres in einer noblen Herrentoilette arbeitenden Vaters liefert, dreht Fleisch durch den Fleischwolf. Vor einer Stange mit einem zum Penis hergerichteten Mikrofon verhandelt ein homosexuelles Paar, das auseinandergehen möchte, die Gütertrennung. In einer TV-Diskussion über die Bedürfnisse der Frau von heute beginnt die Moderatorin sich an allem zu reiben, woran sich reiben lässt. Der Ehemann einer Frau, die von einer Gruppe von Männern vergewaltigt worden ist, reflektiert über das Verbrechen zu einem skurrilen Solo-Tanz.

Yana Ross flirtet also immer wieder mit dem Mittel der Groteske, und Ilknur Bahadir, Conny Dachs, Urs Peter Halter, Michael Neuenschwander, Katie Pears und Lena Schwarz nutzen die darstellerischen Möglichkeiten variantenreich und pointiert, aber ohne Drücker. Für Abwechslung sorgen auch eine rege eingesetzte Live-Kamera sowie Musikeinlagen besonders aus dem Country-Stil. tb

Weitere Aufführungen des Stücks bis 30. September: www.schauspielhaus.ch