Alle liegen im Bett und lesen Shakespeares “Hamlet”

Nach dem Philosophicum-Auftakt zum Thema Fiktion müsste man sich genau das vorstellen.
Lech „Uns Intellektuellen liegt ,Hamlet‘ näher als Shakespeares ,Königsdramen‘, wie man herrscht, wissen wir nicht, aber wie man denkt und täuscht“, hieß es am Mittwochabend auf dem Podium in Lech. Aha, wie man täuscht, wer täuscht, warum er täuscht, wer darauf reinfällt und was es bewirkt, das ist in den nächsten Tagen Thema. Das Philosophicum geht unter dem Titel „Als ob! Die Kraft der Fiktion“ in die 24. Auflage, Experten verschiedener Wissensgebiete erörtern, ob wir die Fiktion brauchen und wie sie unter anderem Politiker missbrauchen (und mitunter selbst darauf reinfallen).
Spitzen in Richtung Politik
Seit Jahren ist es Tradition, dass einer der maßgeblichen Initiatoren der Tagung sowie deren Leiter, also der Schriftsteller Michael Köhlmeier und der Philosoph Konrad Paul Liessmann, in ihren Funktionen aufeinandertreffen. Waren es bislang oft Geschichten aus dem literarischen Fundus, die Köhlmeier bis zurück in die Antike intus hat, und aus denen er mit Esprit und jenem Quantum Humor zu schöpfen versteht, die die Zuhörer über Stunden in Spannung halten, und die Liessmann dann philosophisch kommentiert, so einigten sich die beiden nun auf „Hamlet“. Warum? Wohl, weil das gut 400 Jahre alte Stück potenzierte Fiktion ist. Hamlet (dem der Geist des toten Vaters erscheint, der ihn auffordert, den Mord durch seinen Bruder zu rächen) lässt dem Onkel die Tat im Rahmen einer Theateraufführung vorspielen, bedient sich also selbst der Fiktion, um den Mörder zu entlarven. Abgesehen von Spitzen in Richtung österreichischer Politprominenz (Liessmann: „Das Ganze spielt in Dänemark und nicht auf Ibiza, aber er stellt ihm eine Falle“ oder „Ich stelle mir einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss vor, bei dem dem Beschuldigten der sms-Verkehr vorgespielt wird“ und „Rosenkranz und Güldenstern sind schon sehr naiv, das ist wie Laptops im Park spazieren fahren“), fokussierten die beiden die Beweggründe Hamlets, der einmal locker Gelegenheit gehabt hätte, Claudius zu ermorden, aber es nicht tat. Ein Grund neben dem, dass er ihn nicht im Zustand des Bereuens töten wollte, könnte sein, dass der Onkel der Vater ist, dass die Liaison mit der Frau des Bruders schon länger läuft. Auch der Schriftsteller John Updike vertritt diese These.
Uneinigkeit herrschte bei der Frage, ob jene Menschen „Hamlet“ lieben, die für Charisma (bekanntermaßen eine fragwürdige Fähigkeit) anfällig sind und wer wie von Kunst erschüttert werden kann. Liessmann hatte zuletzt als Elfjähriger bei „Winnetou 3“ geweint, Köhlmeier gibt intensive Emotionen als erwachsener Leser zu. Das Agieren „als ob“, um auf den Philosophicum-Titel zurückzukommen, ist ein großer Aspekt bei Shakespeare. Man stellte sich beim Hinausgehen aus dem Saal vor, dass nun bald alle im Bett liegen und „Hamlet“ lesen.
„Ich habe elfjährig bei ,Winnetou 3‘ geweint, heute denke ich, es ist schlecht geschrieben.“
Philosophicum Lech bis 26. September. An diesem Sonntag, 19 Uhr, treten Konrad Paul Liessmann und Michael Köhlmeier auch im Theater Kosmos in Bregenz auf.