Philosophisch-literarischer Vorabend: Ins Ungewisse

Kultur / 25.09.2025 • 15:03 Uhr
Michael Köhlmeier Konrad Paul Liessmann
Michael Köhlmeier und Konrad Paul Liessmann im Gespräch über das Ungewisse.

Michael Köhlmeier und Paul Liessmann beim Philosophicum Lech.

lech Es gehört zur Tradition des Philosophicum Lech, dass sich am Vorabend der Tagung der Schriftsteller und großartige Erzähler Michael Köhlmeier und der bedeutende Philosoph Konrad Paul Liessmann begegnen – und das jeweilige Jahresthema in ein lebendiges Spiel aus Geschichten und Deutungen verwandeln. Unter dem Titel „Ins Ungewisse” boten sie auch in diesem Jahr eine abwechslungsreiche, zugleich tiefgründige und unterhaltsame Annäherung an den Begriff des Abenteuers in all seiner Widersprüchlichkeit.

Michael Köhlmeier Konrad Paul Liessmann
Michael Köhlmeier erzählte drei Geschichten….stefanie lässer

Köhlmeier begann mit der altbekannten und doch nie veralteten Geschichte von Ödipus. Er erzählte sie nicht als trockenes Schulbeispiel, sondern lebendig mit eigenen Akzenten und Wendungen. Damit gab er Liessmann die Steilvorlage für seine Deutung. Zwar sei die Tragödie durch Sigmund Freud zum Inbegriff eines psychologischen Deutungsmusters geworden, so der Philosoph, und zwar zum Ödipuskomplex, einer der umstrittensten Hypothesen der Psychoanalyse, die von Hass auf den Vater und Begehren nach der Mutter spricht. Doch jenseits dieser Lesart entfalte der Stoff eine zeitlose Botschaft: Gerade die verzweifelten Versuche, das Schicksal zu kontrollieren, provozieren jenes Unheil, dem man zu entgehen hofft. Der Drang nach Gewissheit über die Zukunft erweise sich hier als das eigentliche Abenteuer – ein geistiges Abenteuer, das nie endet.

Michael Köhlmeier Konrad Paul Liessmann
stefanie lässer…die dann von Korad Paul Liessmann interpretiert wurden.

Als zweite Erzählung führte Köhlmeier das Publikum in die Welt der Roma-Märchen. Die Geschichte von einem monströsen Mädchen, das seine Brüder, die Dorfgemeinschaft und die Tiere vernichtet, wirkt archaisch, düster und rätselhaft. Gerade weil sie so grausam ist, eröffnet sie den Blick auf die Zerbrechlichkeit menschlicher Existenz. Die Bedrohung, die aus dem Vertrauten erwächst, gehört ebenso zum Leben wie das Glück, das sich im nächsten Augenblick einstellen kann.

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Schließlich entführte Köhlmeier die Zuhörer mit einer Erzählung von Stanisław Lem in die Zukunft. In dieser Vision sind technische Hürden wie die Raumfahrt mit annähernder Lichtgeschwindigkeit längst überwunden. Doch der Astronaut, der nach Jahrhunderten zur Erde zurückkehrt, muss erfahren, dass die Welt nicht mehr dieselbe ist: Die Gesellschaft hat sich vom technologischen Fortschritt abgewendet und ihre Werte radikal verändert – hin zu Literatur, Poesie und Kultur.

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Am Ende sind es nicht der zurückgekehrte Astronaut oder Ingenieure, die diese zukünftige Gesellschaft prägen, sondern Dichter und Erzähler, die Welten erschaffen können, ohne sich aus der Sicherheit des eigenen Zimmers zu bewegen. Allerdings: Wäre unsere Geschichte so verlaufen, säßen wir dann nicht noch immer vor dem Lagerfeuer, ohne all den technologischen Fortschritt? Vielleicht ist es also ganz gut, dass wir uns auf den Weg ins Ungewisse gemacht haben.

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Stefanie LässerObmann Ludwig Muxel begrüßte das Publikum in den Lechwelten.

Bereits am Nachmittag hatte das Remus-Impulsforum den Auftakt gemacht.Unter der Leitung von Michael Fleischhacker diskutierten Katja Gentinetta, Ulrike Guérot, Norbert Bolz und Ewa Ernst-Dziedzic über die Frage „Europa. Spielplatz der Abenteurer?”.

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Stefanie Lässer

Damit setzte das Philosophicum Lech seine Tradition fort, den Beginn einer Tagung nicht in trockenen Thesen, sondern im lebendigen Spiel von Erzählung und Deutung zu suchen – ein Abenteuer für Geist und Imagination, und ein Vorgeschmack auf die kommenden Tage, die das Philosophicum Jahr für Jahr zu einem Denkraum der besonderen Art machen.