Gerald Futscher, einer, der gern aus der Reihe tanzt

Komponist Gerald Futscher: „Ich habe ein tief verwurzeltes Ressentiment gegenüber Affekten.“
GÖTZIS Er ist eine schillernde Figur, einer der originellsten und innovativsten Komponisten des Landes, stets auf der Suche nach neuem, unverbrauchtem Klangmaterial. Gerald Futscher arbeitet fern aller gängigen Schubladen seriell bzw. kontrapunktisch. Einer, der sein Publikum zum Mitdenken herausfordert und sich kein Blatt vor den Mund nimmt, auch im Interview.
Ihr Vater war ein anerkannter Kulturpolitiker. Hat sich da bereits Ihre spätere Laufbahn als Komponist abgezeichnet?
Nein, gar nicht. Ich hatte immer viele verschiedene Interessen.
Aus heutiger Sicht: War es die richtige Berufswahl?
Komponieren ist in meinem Fall ja kein Beruf. Aber grundsätzlich sollte jeder immer das machen, was er gerne tut.
Aber es ist kein Beruf, der eine tragfähige Existenz bietet. Stört Sie das nicht?
„Tragfähig“ sind hoffentlich die Holzstangen, die die Totengräber schultern, wenn sie meinen Sarg zu Grabe tragen. „Existenz“ meint ja wohl was anderes.
Dabei sind Sie ein fleißiger Komponist. Ihre Werkliste in der Musikdokumentationsstelle umfasst nahezu 100 Werke fast aller Sparten. Wurden die alle bereits aufgeführt?
Es wurden ganz viele Stücke noch nicht gespielt. Das ist vielleicht auch gut so. Andererseits würde es mich natürlich nicht stören, wenn mal jemand vorbeikäme und sich für in Schubladen herumdümpelnde Arbeiten interessierte. Ich gehe nicht hausieren, dafür habe ich weder Zeit noch Nerven.
Ihr Publikum reagiert oft reserviert. Liegt das vielleicht auch daran, dass Sie als Komponist gerne aus der Reihe tanzen, mit Ihrer Musik polarisieren oder sogar provozieren?
Da bin ich mir nicht sicher, ob das überhaupt zutrifft. Ich glaube eher nicht.
Dabei hat es ja auch einen tieferen Sinn, wenn Sie etwa bei Pergolesis „Stabat mater“ mit einer Sängerin im Aquarium an das Grauen im Mittelmeer erinnern wollten. Haben das die Leute verstanden?
Ja, ich denke schon. Außerdem ging es hier, wie in allen anderen Arbeiten, ja nie um einen billigen Effekt. Klar ist eine semantische Ebene mitgedacht, aber wenn ich eine Singstimme mit dem Kopf im Aquarium singen lasse, erweitere ich die sinnliche Wahrnehmung. Das ist einfach Neugierde und Freude an neuen Eindrücken.

Wäre es Ihnen nicht lieber, wenn die Zuhörer am Schluss meinen „Schö gsi!“?
Tut mir leid, aber das ist nun wirklich keine ästhetische Kategorie, die ich ernst nehmen kann. Wir leben offensichtlich auf verschiedenen Planeten.
Fühlen Sie sich mit solchen Aktionen auch als eine Art enfant terrible der heimischen Komponistenszene, als Nachfolger von Gerold Amann?
Gerold war lange die wichtigste Persönlichkeit in der musikalischen Kulturszene dieses Landes. Er war mein Lehrer und ist mein Freund. Wir sind aber schon lange keine Kinder mehr.
Aber Ihre Musik findet wenigstens bei den Musikern in Vorarlberg Respekt, etwa beim „Ensemble plus“ mit Guy Speyers, das immer wieder Aufführungen initiiert. Eine Art Genugtuung für Sie?
… … …
„Ich mag keine Musik, deshalb schreibe ich Töne“, haben Sie in einem Interview gesagt. Wie ist das zu verstehen?
Das Zitat heißt: „Ich mag keine Musik. Gar keine. So bin ich als Musiker dazu gekommen, Noten zu schreiben. Das ist sehr still. Ich höre nur das Schaben des Stifts auf dem Papier …“. Ich habe ein tief verwurzeltes Ressentiment gegenüber Affekten.
Ganz im Gegensatz dazu lieben Sie in Ihrem Instrumentarium das heute total vergessene Harmonium, eine altertümliche Tretorgel, die Sie mit Vorliebe bei Aufführungen selbstspielen. Woher diese besondere Zuneigung?
Das Harmonium wird und wurde von sehr vielen Komponisten sehr geschätzt, Arnold Schönberg und seine Schüler haben sehr viel für das Instrument geschrieben. Letzte Woche habe ich auf Ö1 ein Konzert aus Graz gehört, bei dem mehrere Werke uraufgeführt wurden, die für Ensemble mit Harmonium komponiert waren, u. a. ein Stück von Georg Friedrich Haas. Wegen des Schnaufens der Blasebälge habe ich das Instrument immer als besonders lebendig empfunden.
Ihr Stück bei „texte & töne“ mit dem Titel „matière inusitée“ für sechs Instrumente und Zuspielung stammt aus dem Vorjahr und wurde im Theater Kosmos uraufgeführt. Worum geht es dabei?
In diesem Stück wollte ich dezidiert eine Problematik meiner Arbeitsweise thematisieren. Es geht um die Antinomie einer streng durchdachten Grundstruktur, die dann im Verlauf weiterer Arbeitsschritte zu verschwinden scheint. Hiervon ausgehend habe ich weitere Antinomiepaare gesucht und ausgearbeitet. Das spiegelt sich dann beispielsweise in der Diskrepanz zwischen notierter Tonhöhe und vorgeschriebener Bogentechnik wider, oder in der Irritation durch optische Signale. Fritz Jurmann
Zur Person
GERALD FUTSCHER
GEBOREN 27. Jänner 1962 in Feldkirch, lebt in Götzis
AUSBILDUNG Klavier, Fagott und Komposition (Gerold Amann) Konservatorium Feldkirch, Philosophie Uni Salzburg und Wien, Staatl. Lehrbefähigungsprüfung für Klavier
TÄTIGKEIT Auftritte als Pianist in Tokio, Sidney, Seattle; unterrichtet an der Musikschule Dornbirn Klavier und Komposition; Aufführungen seiner Werke bei den Wiener Festwochen, Bregenzer Festspielen, ORF
texte und töne, ORF-Festival für Neue Musik, 6. November, ab 15 Uhr, Götzis, Kulturbühne AmBach