Die Ironie ist es, oder: Was die Uraufführung am Landestheater noch interessant macht

Kultur / 07.11.2021 • 21:30 Uhr
Die Ironie ist es, oder: Was die Uraufführung am Landestheater noch interessant macht
Heftig beklatscht: “Wir reden über Polke, das sieht man doch!” am Vorarlberger Landestheater. VLT/Köhler

“Wir reden über Polke, das sieht man doch!” von Gerhard Meister erhält am Vorarlberger Landestheater Relevanz.

Bregenz Wer genau hinhört (oder den Text auch liest), müsste rasch kapieren, dass zwar Polke draufsteht, aber nicht wirklich drin ist. Insofern ist es obsolet, darüber zu verhandeln, ob das Vorarlberger Landestheater mit dem aktuellen Stück „Wir reden über Polke, das sieht man doch!“ dem Werk des deutschen Künstlers Sigmar Polke (1941-2010) gerecht werden kann. Und dennoch ist die Wahl des Titels nachvollziehbar. Anspielungen auf einzelne Arbeiten sowie seine Auseinandersetzungen mit Kunst und Gesellschaft, seine Ironie und Selbstironie sind präsent und spiegeln sich in den Fragen, die auch für die darstellende Kunst relevant sind.

<span class="copyright">VLT/Landestheater</span>
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Da ein Kunstdiskurs anderen Gesetzen unterliegt als das Theater, wäre es wohl auch nicht optimal, wenn dieser überhand nähme. Der Schweizer Autor Gerhard Meister, von dem neben „Fluchtburg“ für das Wiener Burgtheater vor allem Arbeiten für Berner, Aarauer und Solothurner Bühnen aufgelistet sind, an denen Stephanie Gräve, die Intendantin des Vorarlberger Landestheaters, zuvor tätig war, hat einen komplexen Text ohne Figurenzuordnungen abgeliefert, in dem immer wieder auf einzelne Werke Bezug genommen wird. Stil, Material, verwendete Medien, die mit schweren Folgen verbundenen Versuche zur Herstellung von leuchtenden Farben, das Nachkriegsdeutschland mit der Verdrängung der Nazi-Zeit, die Staatenteilung, Kunstmarktmechanismen, Kunstförderung, Wohlstand, Konsum, Besitzverhältnisse, aber auch Spiritualität werden Themen, die Meister so aufbaut, dass sie sich nicht unbedingt nur auf Polke zuspitzen. Wer vom Werk des Künstlers, von dem es bislang keine Monografie gibt, nur ein paar Arbeiten intus hat, kann dem Stück somit dennoch folgen. Und dann ist da ja noch der eine, der irgendwann schreit, dass er jetzt genug hat von diesem „Hirngewichse“, etwa vom Herumreden um eine zweckentfremdete Kartoffel und sich dann dagegen wehrt, die Figur zu spielen, die sich mit ihren „beschränkten, von Vorurteilen gespickten Ansichten selber lächerlich macht“. Das kann ins Auge gehen, wird aber nicht banal.

<span class="copyright">VLT/Köhler</span>
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Meister hat zwar nicht aufgedeckt, dass der „Apparat, mit dem eine Kartoffel eine andere umkreisen kann“, also ein Werk, dessen Zuordnung zur Kunst mitunter auch jene den Kopf schütteln lässt, die bereits mit Readymades in Berührung gekommen sind, nicht nur im Geiste des Fluxus entstanden ist, sondern auch auf einer gagigen Aktion beruht, und lässt Überlegungen zur Entstehung von Kunstpreisen bewusst gären. Er hat aber vor allem in Bérénice Hebenstreit eine Regisseurin gefunden, der es nicht zu viel Mühe macht, den Text so zu strukturieren, dass sich ein spannender, dramaturgischer Ablauf ergibt, bei dem aber ein Happening-Charakter nicht verloren geht. Sie entwirft mit dem Ensemble eine Performance, die in den mehr als zwei Stunden Spieldauer nie still steht. Mehr noch, der Musiker Gilbert Handler läuft in der Pause für jene, die im Saal bleiben, zur Hochform auf und wenn das Publikum einbezogen wird, dann wird das niemals platt. Wie oft die Podien (eine Treppe und eine Art Labor im Hochsitz, der in den Werken Entsprechung findet) auch immer verschoben oder erklommen werden müssen, wie oft Einblendungen notwendig werden, mit Vivienne Causemann, Luzian Hirzel, Johanna Köster, Nico Raschner, Jürgen Sarkiss und Sebastian Schulze läuft alles rund. „Jeder, der hier im Publikum sitzt, kann sich uns leisten“ heißt es einmal als Pendant zum Werk Polkes, das mittlerweile zum höchst dotierten in Deutschland zählt. „Im besten Fall kauft uns jemand für 900 Euro. Dann landen wir irgendwo in Bregenz in einer Besenkammer. Und dort werden wir rasch vergessen.“

Hoppla, da hat sich also der Autor die Verhältnisse in Vorarlberg, wo es immer noch keinen Ort für die Präsenz der bildenden Kunst in der Region gibt, aber genau angesehen. Schadet dieses Herunterbrechen der Thematik auf regionale Begebenheiten dem Stück? Nein, das Theater hat zwar seine Orte, muss sie aber ständig gegen Nutzenrechnungen per unlauterem Zahlenspiel verteidigen. Auch das erzählt dieses Stück, das laut spannender Ausstattung von Mira König in einer Art Labor spielt, aber keinen Werkstattcharakter hat, sondern wohl auch aufgrund seiner Kompaktheit und seines Humors bei der Uraufführung am Bregenzer Kornmarkt so heftig beklatscht wurde.

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VLT/Köhler

Apropos Polke: Zu seinen Fenstern im Zürcher Großmünster ist es kein weiter Weg, Ausstellungen zum 80. Geburtstag findet man da und dort in Deutschland und zudem ist das Museum Ludwig in Köln mit seiner entsprechenden Sammlung eine Anlaufstelle für Interessierte.

Weitere Aufführungen ab 9. November im Bregenzer Kormarkttheater. Rahmenprogramm mit Vorträgen: landestheater.org

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