Vorarlberg kommt nun auch in einem Kinderbuchklassiker vor

Mit “Pünktchen und Anton” machte das Landestheater vor der Schließung noch allen eine Freude.
Bregenz Die Windstille dauere nun drei Wochen heißt es einmal, wenn Luise Pogge und Anton Gast als Zeichen ihres Veränderungswillens mit dem Boot übers Meer segeln. Der kleine, vermutlich nicht einmal von allen bemerkte Verweis auf die momentane Situation darf sein, schon vor einem Jahr war die Aufführung der Produktion „Pünktchen und Anton“ am Vorarlberger Landestheater wegen der Pandemie verboten, nun, nachdem neben dem entsprechenden hygienischen Verhalten längst Impfmittel zur Verfügung stünden, hat die Unvernunft vieler wieder zum Aus geführt. Am Samstagabend war das Bregenzer Kornmarkttheater jedenfalls relativ gut besetzt, das Publikum war einverstanden damit, dass die Premiere des großen Familienstücks im Jahresspielplan nicht am Nachmittag stattfindet, es hat die eineinhalb Stunden wohl auch genossen, weil es so etwas auch für die Geimpften und konsequent Abstandhaltenden nun nicht mehr gibt.

Am 13. Dezember, dem Tag des von der Regierung prognostizierten Lockdownendes, steht das Ensemble um Intendantin Stephanie Gräve jedenfalls schon wieder parat, gespielt würde somit auch dann, wenn die Auflagen entsprechend streng sind. An die Vernunft und Solidarität der Menschen zu glauben, fällt allerdings schwer, „Pünktchen und Anton“, der Kinder- und Jugendbuchklassiker, ist ein gutes Beispiel dafür. Im Jahr 1931 ist das Werk von Erich Kästner erschienen, das Aufzeigen der Kluft zwischen Arm und Reich ist dem Genre entsprechend zwar relativ plakativ, existent bzw. ein Problem ist sie auch noch 90 Jahre später, in Zeiten des oft zitierten allgemeinen Wohlstands.
Szenenapplaus
Aus der Vorlage ein Konzept für ein lebendiges, humorvolles und auch actionreiches Theaterstück zu erstellen, ist eine Herausforderung, obwohl es bereits einige Bühnenadaptionen inklusive einer Oper gibt. Den Reaktionen war zu entnehmen, dass Regisseurin Catharina May dem jungen Publikum auch sehr viel Spaß bereitet hat, den ersten allgemeinen Szenenapplaus gab es bereits beim Auftritt der Figur des Zeigefingers, der dem vom Kästner eingeführten Kommentator entspricht. „Im Leben bleibt es oft aus, das Glück, aber das hier ist ein Theaterstück“, sagt er. Wir wissen es, Pünktchen und Anton klären nicht nur einen Kriminalfall auf, in den die Erzieherin Fräulein Andacht verstrickt ist, der reiche Vater von Luise, dem Pünktchen, besinnt sich im Laufe der Handlung nicht nur auf seine familiären Pflichten, er stellt auch Antons Mutter bei sich an, wodurch der Bub von der Kinderarbeit erlöst wird. Ob sein soziales Gewissen soweit aktiviert wird, dass er und seine verschwendungssüchtige Frau auch das Gemeinwohl im Sinn haben, erfahren wir nicht mehr. Aber vielleicht kommen sie in Zukunft auch ohne die eine oder andere Party aus. Dass diese bei Sagmeisters und Rhombergs stattgefunden haben, ist eine augenzwinkernde Bissigkeit, die bei jenem Publikum, das die Namen einordnen kann, einen weiteren Lacher hervorrief.

Das Schöne an dieser Inszenierung liegt darin, dass es gelungen ist, die einfache Geschichte mit witzigen Details so zu überzeichnen, dass die Moral in luftig-leichter Verpackung daherkommt und vielleicht gerade deshalb auch nach dem Theaterbesuch beschäftigt. Die Bühne von Jennifer Schleif mit den verschieb- und aufklappbaren Häuschen bildet einen schönen Rahmen. Mit etwas Technik und Seilakrobatik werden Traumszenen deutlich. Die Kostüme von Wicke Naujoks sind so kunterbunt, dass sie die Aufmerksamkeit einer comicsverwöhnten Generation durchaus erreichen. Die Musik (Matthias Grote) ist stimmig, man hätte sie sich da und dort aber noch etwas eingängiger und akzentuierter gewünscht. Das ist aber nur ein Detail, das Ensemble liefert in jeweils mehreren Rollen Bravourleistungen.

Luzian Hirzel erzeugt als Zeigefinger und Berta besten Theaterzauber, Vivienne Causemann ist eine derart agiler Klepperbein und eine derart skurrile Mutter, dass das Stimmungsbarometer unweigerlich steigt, Nico Raschner zeigt ein rührendes Auftauen des Vaters, Bo-Phyllis Strube gelingt es, den inneren Konflikt von Fräulein Andacht in den kleinen Momenten, die ihr zur Verfügung stehen, doch ein wenig zu verdeutlichen. Und dann ist da das Pünktchen, mit dem Maria Lisa Huber Neugierde, Verletzbarkeit, aber auch die Kraft eines Kindes zeigt. Dass der schon etwas erfahrenere Anton nicht altklug wirkt, ist das Verdienst von Sebastian Schulze. Er hat den Part des erkrankten David Kopp kurzfristig übernommen und zeigt uns einen Jungen, der das Empathievermögen trotz seines harten Schicksals noch in sich trägt. Die Kinder schließen ihn wohl ins Herz, den aufmerksamen Erwachsenen dürfte nicht entgangen sein, dass er einen jungen Menschen in einer Phase zeigt, in der er Gefahr laufen könnte, Hetzern in die Hände zu laufen. Hier geht alles wunderbar gut aus, „Pünktchen und Anton“ macht sehr viel Spaß, es steckt aber auch sehr viel Ernstes in diesem Kinderbuchklassiker, das die Inszenierung mit feinen Verweisen auf den Punkt bringt.

Theateraufführungen sind vorerst pandemiebedingt verboten. Voraussichtliches Lockdownende ist am 13. Dezember. Ab diesen Datum stehen zahlreiche Aufführungen von “Pünktchen und Anton” auf dem Spielplan des Vorarlberger Landestheaters.