Eine opulente Begegnung mit Tizian

Schön, weil (scheinbar) selbstbewusst: Das Kunsthistorische Museum widmet sich einem von Literatur und Philosophie inspirierten Frauenbild.
Wien Entblößte Brust, klarer Blick, offenes Haar – derart dargestellte Frauen hat die Kunstgeschichte bis ins 19. oder gar bis ins 20. Jahrhundert meist als Kurtisanen identifiziert. Eine Freiwilligkeit der Berufswahl darf dabei ebenso in Frage gestellt werden wie der Luxus, der vom Reichtum der Gönner abhängig war. Mit “Schönheit, Liebe, Poesie” untertitelt das Kunsthistorische Museum dennoch die Tizian-Ausstellung, die aufgrund des Umfangs mit rund 60 Gemälden des venezianischen Meisters (1488-1576) und namhafter Zeitgenossen als grandios bezeichnet werden kann. Abgesehen davon, dass das KHM über einen reichen Tizian-Bestand verfügt, machen Leihgaben aus dem Louvre, den Uffizien, der Eremitage und den Staatlichen Museen Berlin die Schau zu einem Ausstellungshighlight des Spätherbstes, deren Laufzeit bis Ende Jänner verlängert wurde.
Doch trifft der Untertitel wirklich zu? Sylvia Ferino-Pagden hat das Konzept erstellt und entwirft ein Venedig-Bild, das im 16. Jahrhundert bereits vom Humanismus geprägt gewesen sein soll. Nimmt man den humanistischen Gelehrten Pietro Bembo als Beispiel, so befasste sich dieser in einem Werk immerhin auch mit dem Wesen wahrer Liebe, über das seine Protagonisten vor die Beiträge wertenden Frauen referierten. Obwohl Bembo der Kirche nahestand, nahm er sich die Freiheit, auch offiziell an der Beziehung zu einer Geliebten festzuhalten, die zudem anderweitig verheiratet war.

Auch wenn das Venedig-Bild aus der Perspektive der Frauen wenig ideal war, so dürften die Motive aus der antiken Mythologie in der Tat nicht nur voyeuristischen Begierden männlicher Betrachter geschuldet sein. Dass die Venus-Themen nicht nur Tizian, sondern beispielsweise auch Tintoretto die Möglichkeit boten, Frauen in Erwartung des Liebesaktes in einer selbstbewussten Haltung darzustellen, die annehmen lässt, dass sie einen aktiven Part in der erotischen Spielerei einnehmen, beschäftigt im Besonderen. In ihren Lebensentwürfen waren die oft zitierten schönen Venezianerinnen, die das Frauenbild Tizians bestimmten, mit Sicherheit dennoch sehr eingeschränkt.

Abgesehen davon war das Liebeswerben, das bei Tizian oder auch Bordone zum Ausdruck kommt, von einem Handel begleitet, der schließlich zu einem Ehebündnis führen durfte. Wenn es den Kuratorinnen somit ein Bedürfnis ist, die eingangs erwähnte entblößte Brust auf Frauenbildnissen bzw. Meisterwerken von Bartolomeo Veneto, Bernardino Licinio, Paris Bordone und eben Tizian als Sujet zu erklären, mit dem Treue und Liebe verdeutlicht wurde, dann schwingt diese Erkenntnis eben im Hintergrund mit. Im Fokus bleibt die Malerei dieser Zeit, die neben dem Repräsentationsporträt dem Gefühl Beachtung schenkt, wie es etwa im “Liebespaar” von Bordone gut zu lesen ist.

Übrigens: Wer den Besuch im Kunsthistorischen Museum in Wien nicht mehr schafft, dem offeriert das Haus auch eine Onlineführung, die ebenso wie ein Ticket zu buchen ist.
Die Ausstellung im Kunsthistorischen Museum Wien wurde bis Ende Jänner 2022 verlängert, tägl. 10 bis 18 Uhr, Do bis 21 Uhr; 24. Dezember bis 15 Uhr, 2-G-Regel: khm.at