Und es funktioniert doch

Kultur / 28.01.2022 • 22:02 Uhr
Michael Floredo: „Reproduzierendes Arbeiten ist kein schöpferisches Schaffen.“ Hofmeister
Michael Floredo: „Reproduzierendes Arbeiten ist kein schöpferisches Schaffen.“ Hofmeister

Zwei gewaltige Symphonien aus der Werkstatt von Michael Floredo stehen vor ihrer Uraufführung.

ALTACH St. Florian in Oberösterreich ist ein ganz besonderer Ort. Der Komponist Anton Bruckner hat dort gewirkt und ist unter der nach ihm benannten Orgel begraben, Michael Floredo hat bei den dortigen Chorherren so etwas wie eine zweite Heimat gefunden, ein offenes geistiges Zentrum, das ihm mehrfach die Aufführung seiner opulenten Werke ermöglichte.

 

Sie gelten als der begnadete Symphoniker unter den zeitgenössischen Komponisten. Wie ist der aktuelle Stand Ihres Schaffens?

FLOREDO In fast vier Jahrzehnten konsequenter Arbeit, was Uraufführungen und Wiederaufführungen betrifft, kommt schon etwas zusammen. Im Grunde genommen habe ich für alle Instrumente in verschiedenen Besetzungen bis hin zum ganz großen Orchester mit Chor und Solisten geschrieben.

 

Besonders erfolgreich und spektakulär war Ihre dritte Symphonie für drei Organisten an einer Orgel, für viele ein „unerhörtes Klangereignis“

FLOREDO Drei Organisten gleichzeitig an einem Orgelspieltisch hat es bis dato in der Musikgeschichte noch nicht gegeben, sie sprengt auch die Dauer üblicher Orgelliteratur. Ich kann mich noch gut an die Proben in der Nacht am Vortag zur Uraufführung in der Stiftsbasilika St. Florian erinnern, als beim Scherzo nach dem Schlussakkord der Registrant, der zweite Stiftsorganist und damalige Stiftskapellmeister synchron zum Orgelprospekt gesprungen sind, beide gleichzeitig reflexartig ihre Handys aus der Tasche zogen und sofort wieder einsteckten. Ich dachte mir, was ist jetzt los? Nach der Uraufführung war’s mir dann klar. So zahlreiches Publikum wie noch nie bei einem Orgelkonzert bei den Brucknertagen und langanhaltende Standing Ovations haben mir den Mut für diese Symphonie schon gedankt und gaben mir recht. Dabei hatten mir namhafte Organisten zuvor abgeraten: „Das funktioniert nie.“ Und es hat doch funktioniert – mit drei Organisten gleichzeitig! Drei Jahre später im Dom von St. Gallen das Gleiche, zahlreiches Publikum und wieder Standing Ovations. Gerold Amann, mein ehemaliger Lehrer in Komposition, hat mir nach der Aufführung im Dom bestätigt: „Ja, du hast recht, da sind wirklich Techniken und Klänge drin, die man sonst nicht hört.“

 

Inzwischen haben Sie im Vorjahr Ihre vierte Symphonie als fünfsätziges Mammutwerk in großer Besetzung fertiggestellt.

FLOREDO Ja, nach der Uraufführung meiner Orgelsymphonie bekam ich aus St. Florian den Auftrag von den Brucknertagen, ein Werk für Orchester zu schreiben. Die Apokalypse des Johannes, im Sinne einer Enthüllung, und das Neue Jerusalem waren diesmal Inspirationsquelle.

 

Die im Vorjahr geplante Uraufführung bei den Bruckner-Tagen St. Florian musste wegen Corona entfallen. Wann wird das Werk dort zu hören sein, hängt das nur von Corona ab oder auch von der Finanzierbarkeit?

FLOREDO Da spielt sicher beides mit, vor allem die Kürzungen im Kulturbereich. Doch ich habe die Zeit genutzt und noch einen fünften Satz dazu geschrieben. Die Vierte ist wie die Dritte ein abendfüllendes Werk geworden. Die Bruckner-Tage und ich sind so verblieben, dass wir sie 2024 im Jubeljahr zum 200. Geburtstag Anton Bruckners in der Stiftsbasilika von St. Florian aufführen wollen.

 

Bereits im nächsten Jahr ist die Premiere für Ihre Symphonie Nr. 5 geplant, an der Sie derzeit noch arbeiten. Inwieweit unterscheidet sich dieses Werk von Nr. 4?

FLOREDO Nachdem mir die Schwierigkeiten mit großen Besetzungen allzu gut bekannt sind, habe ich in den letzten Jahren neben der Vierten intensiv an meiner fünften Sinfonie gearbeitet. Sie ist wesentlich länger in der Dauer, dafür aber geradezu spartanisch, was die Besetzung anbelangt.

 

Wird die herrschende Krise auch die von Ihnen schon lange erhoffte Klarstellung in der Kulturpolitik zwischen reproduzierenden und produzierenden Künstlern bringen?

FLOREDO Ich glaube nicht, denn da müsste auch eine Bewusstseinserweiterung bei den Verantwortlichen in der Politik stattfinden. Reproduzierendes Arbeiten ist kein schöpferisches Schaffen, wird aber als Begrifflichkeit für Schaffen in Gesetzes-Interpretationen gleichgesetzt, mit dem Ergebnis einer Unverhältnismäßigkeit zwischen Aufführungen Alter und Neuer zeitgerechter Musik. Doch sind solche Unverhältnismäßigkeiten nicht wo anders auch zu finden?

 

Sie sehen die Corona-Pandemie in einem engen Zusammenhang mit der Entehrung von Flora und Fauna durch den Menschen. Welche Schlüsse ziehen Sie daraus?

FLOREDO Ursprünglich wurde in dieser Pandemie das Immunsystem von Menschen in den Vordergrund gestellt, mit der Begründung, dass das Virus verschieden auf Menschen wirkt. Dieser Zusammenhang, was Bodenversiegelung und Feinstaubbelastung anbelangt, ist gerechtfertigt. 7000 Menschen jährlich sterben in Österreich an Feinstaubbelastung. Im Gegensatz zur überbewerteten digitalen Welt verwenden wir für die Fortbewegung eine Technik aus dem letzten Jahrhundert. Zu vieles wird durch eine veraltete Technik angetrieben, speziell was die Landschaftspflege, was Gift in der Luft und Pestizide im Boden anbelangt, sollte man umdenken.

Zur Person

MICHAEL FLOREDO

GEBOREN 1967 in Hohenems, lebt in Altach

AUSBILDUNG Studienaufenthalt in St. Florian bei Augustinus Franz Kropfreiter, Orgel bei Walfried Kraher, studierte am Landeskonservatorium Klavier bei Melodie Wu und Komposition bei Gerold Amann

TÄTIGKEIT freischaffender Komponist (über 50 Werke vorwiegend für Orgel, Kammermusik, Orchester), Organist und Orgelimprovisator, Pädagoge

AUSZEICHNUNGEN Internationaler Bodenseepreis für Komposition, Österreichisches Staatsstipendium für Komposition, Kompositionspreis des Landes Vorarlberg, Preisträger der Päpstlichen Akademien