Vorsichtig und zurückhaltend

Kultur / 18.03.2022 • 16:54 Uhr
Vorsichtig und zurückhaltend

Wolfgang Hermann schreibt von sich langsam regenden neuen Lebens­geistern.

Erzählung In „Abschied ohne Ende“ hatte der Autor 2012 den plötzlichen Tod seines 17-jährigen Sohnes beschrieben, der ihm buchstäblich sein Herz brach. Seine neue Erzählung „Insel im Sommer“ wirkt wie die Fortsetzung und schildert zaghafte, von anhaltender Trauer geprägte, aber auch durchaus romantische Versuche der Hauptfigur, ins Leben zurückzukehren. „Ich weiß nicht genau, wie viele Jahre ich in der Hölle war“, heißt es schon auf der ersten Seite. „Meine Frau hatte mich längst verlassen, meine Freunde hatten nach und nach die Geduld mit mir verloren. Ich hörte Sätze wie: ‚Ja, es ist schlimm, dir ist das Schlimmste passiert, aber du musst kämpfen, bitte kämpfe!‘“

Der Ich-Erzähler kämpft nicht, aber er beginnt, Dinge zuzulassen. Und seine melancholische Aura scheint manche Frauen anzuziehen. Er begegnet Blicken, lässt sich ansprechen, beginnt eine Affäre, hat aber nicht den Mut, sich auf die verheiratete Frau einzulassen. Vorsichtig und zurückhaltend erzählt Wolfgang Hermann, der mit seinen Erzählungen rund um den „Herrn Faustini“ viele Fans gewonnen hat, von den langsam sich regenden neuen Lebensgeistern in einem Menschen. Der Erzähler reist nach Südfrankreich, dorthin, wo er mit seinem Sohn einst immer wieder glückliche Ferientage verbracht hatte. Er begegnet einem kleinen, aufgeweckten Mädchen, das er sofort ins Herz schließt, und der Mutter des Kindes, einer Bildhauerin, die ebenfalls vom Leben gezeichnet ist.

“Insel im Sommer”, Wolfgang Hermann, Czernin Verlag, 72 Seiten.