Kurzgeschichten, Venedig und Inseln

Kultur / 12.08.2022 • 16:53 Uhr / 4 Minuten Lesezeit
SchlachtenseeHelene Hegemann,Kiepenheuer & Witsch,262 Seiten

Schlachtensee

Helene Hegemann,
Kiepenheuer & Witsch,
262 Seiten

Der Bauch geht selten allein durch Venedig und Helene Hegemann legt ihren ersten Kurzgeschichtenband vor.

Erscheine mit einem Knall – das hat sich Helene Hegemann zu ihrem Motto gemacht, angefangen mit ihrem ersten Roman „Axolotl Roadkill“, der viel diskutiert wurde, mitunter auch, weil die Autorin es ziemlich locker mit dem geistigen Eigentum anderer nahm, bis hin zu Theater, Oper und Film, lässt sich bei der Schlingensief-Biografin alles unter dem Prädikat „auffällig“ subsumieren. Die Fünfkämpferin legt nun mit „Schlachtensee“ ihren ersten Kurzgeschichtenband vor.

Gut gestreute Stories

In der Eröffnungsgeschichte entgeht eine Surferin – inklusive verschlissenem Brett – gerade noch dem Tod, in der amerikanischen Provinz wird ein Pfau mit einem Golfschläger geköpft, in Kitzbühel kommt die Erzählerin bei einem Snowboardunglück zu einer Nahtod­erfahrung, und in Schwarzach St. Veit verunglückt die Heimkehrerin kurz vor Weihnachten fast an der langen Heimkehr vor dem kurzen Aufenthalt. Dazu wird getrunken, geraucht und Drogenerfahrungen gemacht: Hier tut sich inhaltlich ein Zeitloch auf und heraus fällt ein gelungenes Ebenbild der frühen 1970er-Jahre, das so ganz ohne die heutigen Fitnessgedanken und Gesundheitswahn auskommt. Literatur kann hier weh tun, sodass es dem Leser den Magen zusammenzieht, als hätte man zum Frühstück anständig Hesperiden-Essig getrunken. Die Autorin nimmt sich kein Blatt vor den Mund, geht, wenn es gerade passt, in den eigenen Storys in den Diskurs über, um dann wieder bei der Story weiterzuschreiben. Dazu zündet die Autorin gelegentlich sprachgewaltige Bomben und lässt die Kurzgeschichten mit einem unerwarteten Haken ausklingen, oder sie versanden auch mal im Nichts, als würde sie Raymond Carver über die Schulter gucken, oder der junge Bret Easton Ellis vorbeischauen. Fazit: Die Kurzgeschichten im US-Stil klingen nicht wie eine literarische Verschnaufpause, die man zwischen zwei Romanen einlegt, sondern wie eine lose verbundene Sammlung aus Geschichten, die doch ein feines Elaborat ergeben. So etwas würde man beim Bachmann-Preis auch gerne einmal hören.

Bauch und Hirn

Vorausgegangen sind bereits die Bücher „Ein Bauch spaziert durch Paris“ und „Ein Bauch spaziert durch Wien“. Nun schlendert „der Gastronom mit seinem Bauch“ durch Venedig, besser gesagt, durch das Veneto, mit dem Ziel, nach Venedig und den vorgelagerten Inseln zu kommen. Daneben interpretiert er die Mittelmeer-Küche auf seine Art und schwindelt auch dann und wann ein Rezept in das Buch. Das Schönste ist jedoch, der Mann kann über Land und Leute, Kunst und Architektur schreiben, ohne öde zu sein. Die subjektiv wichtigsten Gemälde, Kirchen und Wege werden einladend und nie aufdringlich beschrieben. Aber, nun ja, der Mann ist Koch und gelegentlich schreibt er auch wie man nicht kochen sollte, beispielsweise über das Carpaccio, was dann eine besondere Freude ist.

Venedig ist jetzt gerade kein Geheimtipp, man erfährt aber dann doch wieder etwas Neues, frei nach Klinks Motto bei seinen Venedig-Aufenthalten: In Venedig lernt man immer wieder einen neuen Kanal oder eine neue Kirche kennen, oder sieht sie plötzlich aus einem ganz anderen Gesichtspunkt heraus. Auch wenn im Hintergrund Goethes Italienreise ein bisschen die Dramaturgie vorgibt, lesen sich Vincent Klinks „Greatest Hits mit Tiefgang“ ausgezeichnet, dass Harrys Bar einmal mehr eine Würdigung erfährt, tut auch nicht weh, sondern macht Lust auf mehr.

Ein Bauch spaziert durch VenedigVincent Klink,Rowohlt,315 Seiten

Ein Bauch spaziert durch Venedig

Vincent Klink,
Rowohlt,
315 Seiten