Zwischen Scham und Schuld

Vortrag des Philosophen Robert Pfaller im Theater am Saumarkt.
FELDKIRCH Philosophische Auseinandersetzungen ziehen in den letzten Jahren immer mehr junge Menschen an. Dies zeigte sich auch bei dem Vortrag von Robert Pfaller im Theater am Saumarkt. Im Mittelpunkt stand sein neues Buch „Zwei Enthüllungen über die Scham“. Peter Binder, Obmann des Kulturvereins Theater am Saumarkt, bezeichnete den Autor und Philosophen in seiner Einführung als unermüdlichen Kritiker einer Gesellschaft, die es sich zunehmend zur Aufgabe mache, Menschen nicht wie Erwachsene, sondern wie Kinder zu behandeln. „Es wird immer mehr auf Verbote statt auf Eigenverantwortung gesetzt.“ Die Scham sei in jüngster Zeit zu einem allgegenwärtigen Affekt geworden: „Kaum noch eine Tätigkeit, bei der uns nicht das Gefühl der Scham überkommt oder zumindest überkommen soll, ob beim Einkaufen, beim Autofahren oder beim Fliegen. Aber wir schämen uns nicht nur für uns selbst, wir neigen auch immer mehr dazu, uns für andere Personen fremdzuschämen.“
Anlässe für die Scham
Pfaller erläuterte, es würden ständig neue Formen von Scham entstehen: „Vertraute Sachen, auf die man früher noch stolz war, wie etwa eine Flugreise, werden zu einem Anlass für Scham.“ Die Hauptanlässe für Scham sieht er darin, dass Menschen sich zunehmend überflüssig und dequalifiziert fühlen, sich aber auch durch die sozialen Medien immer mehr exponiert fühlen.
Er differenzierte zwischen einer Scham- und Schuldkultur. In einer Schuldkultur etwa müsse immer etwas her – ein Maß, das quantifizierbar ist: „Schuld ist immer ein zu wenig und bezieht sich auf das Handeln eines Menschen, Scham hingegen ist ein zu viel und steht in direktem Bezug auf das gesamte Sein.“
Auch die Psychoanalyse habe sich mit dem Phänomen der Scham beschäftigt: „Scham gilt als autonomes, moralisches Gefühl, das dem Überich zugeordnet wird.“ Pfaller hingegen ortet das Entstehen von Scham einer inneren Instanz des Menschen zu. Es herrsche zunehmend ein Ressentiment gegen das Ideale, was jedoch eine Fehleinschätzung darstelle, denn ohne Bezug auf das Ideale fehlen Identifikationsmöglichkeiten: „Es herrscht ein Kurssturz der Ich-Idealbildungen, dadurch fällt es immer schwerer, Lebensentwürfe festzulegen. Charakteristisch für eine Schamkultur ist es, anderen Scham zu ersparen. Wir hingegen zeigen mit dem angezogenen Finger auf angezogene Menschen.“ BI