Ad fontes. Wenn einer eine Reise tut

Von den Quellen der Flüsse zum Ursprung der Welt.
JURA Vielleicht beginnt jetzt ja bald einmal die Ausflugs-, Bade- und Grillsaison. Was das im Feuilleton verloren hat? Viel: Das Reisen, wusste schon Goethe, ist ein Pfeiler aller Bildung; das Baden ist seit Römerzeit eine bedeutende Kulturtechnik und das Wasser der Anfang von allem; die Kulinarik schließlich, wovon das Grillen eine überaus beliebte Abart ist, die Kulinarik als Ess- und Trinkkultur erklärt sich von selbst. Also gut. Der schweizerisch-französische Jura ist eine Kulturlandschaft im umfassenden Sinn. Im Allgemeinen sind das Ackerbau, Viehzucht und Weinbau, riesige, intensiv genutzte Wälder oder auch alteingesessene Uhrenmanufakturen. Die Wasserkraft und ihre Nutzung für Eisenindustrie und Mühlen ist eine weitere Attraktion mit schon speziellerer Färbung. Eines der kulturgeschichtlich spannendsten Produkte der Region schließlich ist der Absinth. Damit ist auch die Verbindung zur Kunst aufgezeichnet, war doch die grüne Fee eine der beliebtesten Musen für Dichter und Maler.
In einem Maler, nämlich Gustave Courbet (1819–1877), gebürtig in Ornans, wo sein Wohnhaus in ein Museum umgebaut worden ist, findet sich der Schlüssel, der Zugang ins Herz des Jura verschafft. Nach seiner Rückkehr aus Paris wurde der von der großen Welt und der Politik enttäuschte Courbet zum Wanderer durch die Wälder und Schluchten des Jura. Eines seiner Lieblingsmotive war die Quelle der Loue, ein wahrlich spektakuläres Naturschauspiel. Steht man an einem sonnigen Morgen in der riesigen Felsarena, aus der sich die Loue in mächtigen tannengrünen Kaskaden ergießt, geht dem Betrachter zudem ein anderes Licht auf.
Er oder vielleicht noch mehr sie erfasst die Bedeutung eines ebenso berühmten wie rätselhaften Gemäldes von Courbet, des „Origine du monde“, des Ursprungs der Welt. Ein Gemälde, das selbst der Psychoanalytiker Jacques Lacan als einer seiner letzten Besitzer wenn nicht schamhaft, so doch berechnend verhüllte.
Kultur im Jura, das ist, wie erwähnt, Trinkkultur rund um den Absinth, ein vorwiegend aus dem großen Wermutkraut gewonnenes Destillat, dessen Alkoholgehalt zwischen gut 50 und an die 80 Prozent beträgt. Seinen Ursprung hat er im Val de Travers. Womöglich hat sich schon der Philosoph Rousseau in seinem Exil im malerischen Dörfchen Môtiers mit ihm getröstet oder besser: gewappnet gegen den Kleingeist der Welt. Heute befindet sich direkt neben seinem Wohnhaus das noble und gastfreundliche „Maison de l´Absinthe“, und das Dorfgasthaus „Les six-communes“ lädt zu gepflegter Einkehr beim Absinth-Menü. Alles miteinander ein wunderbarer Beleg dafür, dass Kultur lebt – und wovon. PEN