Hilfe kommt aus Bregenz

Kultur / 31.07.2023 • 22:28 Uhr

„Hilfe kommt aus Bregenz“ lässt Kafka einen Arzt in seinem Tagebuch sagen. Die enttäuschte Antwort des Kranken lautet: „Bregenz ist weit“. Ich darf dies heute nicht als Ausruf der Aussichtslosigkeit und Verzweiflung zitieren, sondern vielmehr darin eine Aufforderung sehen, die Reise nach Bregenz auf sich zu nehmen. Denn das reiche Angebot von Kultur und Kunst, und ich spreche nicht nur von den Festspielen, sondern insbesondere von der Bildenden Kunst, lohnt die Mühe allemal.

Auch dieses Jahr bestärkte die angenehme Atmosphäre rund um die Festspiele meinen Eindruck, ein Festival für die Vorarlberger und Bregenzer zu besuchen, ein Festival, dessen Unmittelbarkeit und regionale Verankerung es wohltuend vom Glamour und der Schickeria Salzburgs unterscheidet. Andreas Homoki verzauberte wiederum mit Puccinis Madame Butterfly auf der Seebühne und Verdis Ernani bestach durch grandiosen Gesang und Musik, auch wenn die bluttriefende Inszenierung von Lotte de Beer die Verehrer der Pradler Ritterspiele auf ihre Kosten kommen ließ. Mein Blick galt jedoch vor allem den Ausstellungen, und die konnten sich sehen lassen. Von dem Künstlerpaar Johanna und Helmut Kandl bei Lisi Hämmerle über die sehr unterhaltsame und gleichzeitig tiefsinnige Ausstellung „Das große Fressen“ (samt Wanderung durch den Verdauungstrakt von Dafna Maiman) im Magazin 4 bis hin zu einer kleinen, feinen Ausstellung von Jakob Gasteiger bei Herbert Alber. Gasteigers Interesse gilt dem Bild selbst, dem Material und den Malprozessen der Bildentstehung und – Wahrnehmung, kurzum der Produktion und Rezeption von Malerei. Gasteigers Arbeiten machen sich wohltuend nicht gemein mit dem politisch künstlerischen Zeitgeist und der zunehmenden Moralisierung der Kunst, Gasteiger geht es um Kunst und um nichts als Kunst.

Das Kunsthaus zeigt mit Michael Armitage, dass für gute Kunst kunsthistorische Bezüge, politisches Bewusstsein und künstlerische Traumwelten kein Gegensatz sein müssen. In Dornbirn ergänzen zwei spannende Ausstellungen das Bild der künstlerischen Sommeroffensive. So zeigt das Flatzmuseum mit Café Sybille Fotografie von ostdeutschen Fotografinnen, die sich zu einem sozialen, politischen und kulturellen Portrait der DDR verdichten. Die japanische Künstlerin Chiharu Shiota verwandelt die wunderschöne Fabrikshalle des Kunstraums Dornbirn mit einem von der Decke hängenden labyrinthisch verflochtenen Geflecht aus ineinander verschlungenen roten Schläuchen in einen faszinierenden künstlerischen Organismus. Eine großartige Installation. Sehenswert!

Herausragend aber auch die diesjährige Sommerausstellung „Schöner Wohnen“ im Palais Thurn und Taxis zum Werk des Künstlers Uwe Jäntsch. Uwe Jäntsch entstaubt das Palais, gibt dem Haus seine Noblesse und Funktion zurück und entführt uns mit seinen Installationen und Werken vom Heimatraum über den Palermoraum, von seinem lichtdurchfluteten Blumenzimmer bis zum Labyrinth des schlechten Gewissens im Dachboden in sein berückendes Gesamtkunstwerk, das politische und soziale Relevanz mit einer profunden Auseinandersetzung von Kunst, Design, Architektur und Umwelt verbindet.

Ein Preisjassen im Keller erweitert die Ausstellung um eine spektakuläre soziale Skulptur. Ein Bravo dem Künstler. Ein Werk, dem weiter unsere Aufmerksamkeit gebührt. Hilfe kommt aus Bregenz, jedenfalls im Sommer.

„Das Kunsthaus zeigt mit Michael Armitage, dass für gute Kunst kunsthistorische Bezüge, politisches Bewusstsein und künstlerische Traumwelten kein Gegensatz sein müssen.“

Gerald Matt

gerald.matt@vn.at

Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.