Wenn Kinder Theater spielen
Neulich traf ich einen Freund, den Künstler Erwin Wurm, im Theater, nicht im Burgtheater oder einem anderen Tempel der Hochkultur, nein, wir saßen beide im Wiener Kindertheater. Gegeben wurde Shakespeares wunderbare Komödie, „Wie es euch gefällt“, ein Beziehungsspiel um Verwirrungen und Verirrungen der Gefühle, um Täuschung und Verstellung, um das Spiel mit Identitäten und Geschlechterrollen.
Wer kennt nicht den berühmten Monolog, der Elvis Presley zu seinem bekannten Song „Are you lonesome tonight“ motivierte: „All the world‘s a stage, and all the men and women merely players“. Rezitiert wurde der Satz von einem achtjährigen Mädchen, einer Freundin von meiner und Erwins Tochter, die auch zum temporären Ensemble des Wiener Kindertheaters gehört. Denn gespielt wird nicht von professionellen Schauspielern, wie man dies von anderen Theatern für Kinder kennt, gespielt und dies grandios wird ausschließlich von Kindern und Jugendlichen zwischen 6 und 16 Jahren. Das 1994 von Sylvia Rotter gegründete Wiener Kindertheater wurde von den „Erwachsenen“- Kindertheatern anfangs heftig bekämpft, offenkundig fürchtete man sich vor der Kinderkonkurrenz. Inzwischen ist das Wiener Kindertheater auch international ein anerkanntes Vorzeigeprojekt. Sylvia Rotter, selbst Schauspielerin, ist zutiefst von der angelsächsischen Auffassung von Theater geprägt, die den Schauspieler in den Mittelpunkt stellt, erhielt sie doch ihre Ausbildung an der Royal Academy of Dramatic Arts.
Das Wiener Kindertheater produziert mit seinem Kinderensemble jährlich ein klassisches Stück und nervt dabei Kinder nicht mit dümmlicher Indoktrination und moralinsaurer politischer Korrektheit. Meistens werden klassische Theaterstücke von „Einen Jux will er sich machen“ über „Romeo und Julia“ bis „Maria Stuart“ einstudiert, die auf einer „richtigen“ Theaterbühne, in Schulen und bei Gastspielen auch für Erwachsene aufgeführt werden. Die Theaterkurse für Kinder werden semesterweise angeboten. Man merkt, dass die Mitarbeiter des Theaters, allesamt Profis, Wert darauf legen, dass die Kinder ihren sprachlichen und körperlichen Ausdruck entdecken und ihn auf spielerische Weise entwickeln. Bewegungsspiele, fantasieanregende Übungen, Atemtechnik und Gedächtnistraining ersetzen das pure Einpauken von Texten. Die ausverkaufte Aufführung, an der wir teilhaben durften, machte nicht nur den Kindern ungeheuer Spaß, deren Motivation und Energie übertrug sich auch auf mich, Erwin und das Publikum.
Dr. Manfred Spitzer, Professor für Psychiatrie, Leiter der Psychiatrischen Uniklinik Ulm und Gehirnforscher, meinte anlässlich des Symposiums „Theater wirkt“ in Wien zur „Presse“: „Theaterspielen hat einen sehr positiven Effekt auf die intellektuellen, emotionalen und sozialen Komponenten der Persönlichkeit. Indem Kinder Theater spielen, lernen sie nicht nur, Texte zu behalten, auf andere einzugehen und artikuliert zu sprechen „, sie entwickeln auch ein Gespür für soziale und emotionale Situationen“.
Was mich so begeistert, ist, dass das Spiel Selbstbewusstsein, Konzentration, Kreativität und Fantasie der Kinder fördert und ihr Körpergefühl und ihre Sprache entwickelt. Ich darf Sylvia Rotter und dem Wiener Kindertheater gratulieren und kann es als Modell auch für Vorarlberg nur empfehlen.
„Inzwischen ist das Wiener Kindertheater auch international ein anerkanntes Vorzeigeprojekt.“
Gerald Matt
gerald.matt@vn.at
Dr. Gerald Matt ist Kulturmanager und unterrichtet an der Universität für Angewandte Kunst in Wien.