Der berühmteste Unsichtbare der Welt

Friedenspreis des deutschen Buchhandels für Salman Rushdie.
Frankfurt/Main Der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie wurde am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt, der als eine der bedeutendsten Auszeichnungen des Landes gilt. „Wir leben in einer Zeit, von der ich nicht geglaubt habe, sie erleben zu müssen, eine Zeit, in der die Freiheit – insbesondere die Meinungsfreiheit, ohne die es die Welt der Bücher nicht gäbe – auf allen Seiten von reaktionären, autoritären, populistischen, demagogischen, halbgebildeten, narzisstischen und achtlosen Stimmen angegriffen wird.”

Was aber könne man tun, um die Meinungsfreiheit zu verteidigen: „Wir sollten weiterhin und mit frischem Elan machen, was wir schon immer tun mussten: Schlechte Rede mit besserer Rede kontern, falschen Narrativen bessere entgegensetzen, auf Hass mit Liebe antworten und nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich die Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann.”

Die Laudatio auf Rushdie hielt der Schriftsteller Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt”), für den Rushdie „der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit” ist. Rushdie sei nicht nur unbestritten ein großer Erzähler, sagte Kehlmann, sondern auch „ein weiser, neugieriger, heiterer und gütiger Mensch und somit der würdigste Träger, den es für diese Auszeichnung (…) überhaupt hätte geben können.”

Die 1989 gegen ihn verhängte Fatwa habe ihn nicht zerstören können. „Wie souverän Salman Rushdie mit einer Lage umging, die andere Menschen seelisch erdrückt hätte, das verschlägt einem schon den Atem.”

Im Gegenzug für seinen Personenschutz sei von ihm erwartet worden, „dass er sich an einen verborgenen Ort zurückziehen und nicht weiter von sich hören lassen würde”, sagte Kehlmann. „Aber Salman spielte dabei nicht mit. Er blieb sichtbar, blieb präsent, blieb vor allem ein Schriftsteller.” Statt sich zurückzuziehen, damit alle wieder ihre Ruhe haben, wurde er „der berühmteste Unsichtbare der Welt”.

Geboren wurde Rushdie im Jahr der indischen Unabhängigkeit 1947 in Mumbai als Sohn eines Geschäftsmanns. Über seine Kindheit in Indien sagte er einmal, sie habe ihn beschenkt mit „wundervollen Geschichten aller Art”. Seinen Durchbruch hatte er mit dem Buch „Die Mitternachtskinder”, das 1981 mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde, und später wurde er zum besten Booker-Prize-Gewinner aller Zeiten gewählt. Rushdie erzählt darin von der Loslösung Indiens von Großbritannien anhand der Lebensgeschichte von Kindern, die exakt in der Stunde der Unabhängigkeit geboren wurden und übernatürliche Fähigkeiten haben.

Der Roman „Die satanischen Verse” versetzt auf kunstvolle Weise Figuren aus dem Koran in die Gegenwart, was radikale Muslime als Blasphemie empfanden. Irans Revolutionsführer Ajatollah Chomeini rief zur Tötung Rushdies auf und setzte ein Kopfgeld auf ihn aus. Die Fatwa richtete sich auch gegen alle an der Verbreitung des Buches Beteiligten. Ein japanischer Übersetzer wurde getötet. Rushdie musste untertauchen, erhielt Polizeischutz.

Er verarbeitete diese quälenden Jahre 2012 in seiner Autobiografie „Joseph Anton” – benannt nach seinem Decknamen in jener Zeit. Rushdie zog nach New York und beschloss, dass er sich nicht mehr verstecken will. Er sei nicht mehr eingeschränkt in seiner Bewegungsfreiheit und brauche auch keine Bodyguards mehr, sagte er mehrfach in Interviews.

Dann aber holte ihn die Fatwa doch noch ein: 2022 wurde er während eines Vortrags in den USA mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. „Es war eine knappe Sache, ich bin froh, immer noch hier zu sein”, sagte Rushdie am Freitag in Frankfurt. Er verdanke sein Überleben den Ärzten, die ihn achteinhalb Stunden lang operierten. Der Autor ist seither auf einem Auge blind.

Rushdies Stil wird als magischer Realismus bezeichnet, in dem sich realistische mit fantastischen Ereignissen verweben. Dennoch sieht er sich unbedingt der Wahrheit verpflichtet – und dem freien Wort. Rushdie veröffentlichte mehr als zwei Dutzend Romane, Sachbücher und andere Schriften. Im Jahr 2007 wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen.