Der berühmteste Unsichtbare der Welt

Kultur / 22.10.2023 • 16:30 Uhr
Für Daniel Kehlmann ist Rushdie „der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit".
Für Daniel Kehlmann ist Rushdie „der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit".

Friedenspreis des deutschen Buchhandels für Salman Rushdie.

Frankfurt/Main Der britisch-indische Schriftsteller Salman Rushdie wurde am Sonntag in der Frankfurter Paulskirche mit dem Friedenspreis des deutschen Buchhandels geehrt, der als eine der bedeutendsten Auszeichnungen des Landes gilt. „Wir leben in einer Zeit, von der ich nicht geglaubt habe, sie erleben zu müssen, eine Zeit, in der die Freiheit – insbesondere die Meinungsfreiheit, ohne die es die Welt der Bücher nicht gäbe – auf allen Seiten von reaktionären, autoritären, populistischen, demagogischen, halbgebildeten, narzisstischen und achtlosen Stimmen angegriffen wird.”

Auf Hass mit Liebe antworten. <span class="copyright"> REUTERS/Kai Pfaffenbach/Pool</span>
Auf Hass mit Liebe antworten. REUTERS/Kai Pfaffenbach/Pool

Was aber könne man tun, um die Meinungsfreiheit zu verteidigen: „Wir sollten weiterhin und mit frischem Elan machen, was wir schon immer tun mussten: Schlechte Rede mit besserer Rede kontern, falschen Narrativen bessere entgegensetzen, auf Hass mit Liebe antworten und nicht die Hoffnung aufgeben, dass sich die Wahrheit selbst in einer Zeit der Lügen durchsetzen kann.”

Kehlmann: Rushdie sei „ein weiser, neugieriger, heiterer und gütiger Mensch".  <span class="copyright">REUTERS/Kai Pfaffenbach/Pool</span>
Kehlmann: Rushdie sei „ein weiser, neugieriger, heiterer und gütiger Mensch". REUTERS/Kai Pfaffenbach/Pool

Die Laudatio auf Rushdie hielt der Schriftsteller Daniel Kehlmann („Die Vermessung der Welt”), für den Rushdie „der vielleicht wichtigste Verteidiger der Freiheit von Kunst und Rede in unserer Zeit” ist. Rushdie sei nicht nur unbestritten ein großer Erzähler, sagte Kehlmann, sondern auch „ein weiser, neugieriger, heiterer und gütiger Mensch und somit der würdigste Träger, den es für diese Auszeichnung (…) überhaupt hätte geben können.”

Rushdie bedankt sich bei Daniel Kehlmann für dessen Laudatio.   <span class="copyright">REUTERS/Kai Pfaffenbach/Pool</span>
Rushdie bedankt sich bei Daniel Kehlmann für dessen Laudatio. REUTERS/Kai Pfaffenbach/Pool

Die 1989 gegen ihn verhängte Fatwa habe ihn nicht zerstören können. „Wie souverän Salman Rushdie mit einer Lage umging, die andere Menschen seelisch erdrückt hätte, das verschlägt einem schon den Atem.”

Rushdie veröffentlichte mehr als zwei Dutzend Romane, Sachbücher und andere Schriften.   <span class="copyright">REUTERS/Kai Pfaffenbach/Pool</span>
Rushdie veröffentlichte mehr als zwei Dutzend Romane, Sachbücher und andere Schriften. REUTERS/Kai Pfaffenbach/Pool

Im Gegenzug für seinen Personenschutz sei von ihm erwartet worden, „dass er sich an einen verborgenen Ort zurückziehen und nicht weiter von sich hören lassen würde”, sagte Kehlmann. „Aber Salman spielte dabei nicht mit. Er blieb sichtbar, blieb präsent, blieb vor allem ein Schriftsteller.” Statt sich zurückzuziehen, damit alle wieder ihre Ruhe haben, wurde er „der berühmteste Unsichtbare der Welt”.

Salman Rushdie mit Carola Stern, Günther Grass und Siegfried Lenz. <span class="copyright">Peter Mueller REUTERS</span>
Salman Rushdie mit Carola Stern, Günther Grass und Siegfried Lenz. Peter Mueller REUTERS

Geboren wurde Rushdie im Jahr der indischen Unabhängigkeit 1947 in Mumbai als Sohn eines Geschäftsmanns. Über seine Kindheit in Indien sagte er einmal, sie habe ihn beschenkt mit „wundervollen Geschichten aller Art”. Seinen Durchbruch hatte er mit dem Buch „Die Mitternachtskinder”, das 1981 mit dem renommierten Booker Prize ausgezeichnet wurde, und später wurde er zum besten Booker-Prize-Gewinner aller Zeiten gewählt. Rushdie erzählt darin von der Loslösung Indiens von Großbritannien anhand der Lebensgeschichte von Kindern, die exakt in der Stunde der Unabhängigkeit geboren wurden und übernatürliche Fähigkeiten haben.

Salman Rushdie, hier mit Andre Heller, kam 1995 als Überraschungsgast zum „Fest des Friedens" nach Wien.    <span class="copyright">Leonhard Foeger REUTER</span>
Salman Rushdie, hier mit Andre Heller, kam 1995 als Überraschungsgast zum „Fest des Friedens" nach Wien. Leonhard Foeger REUTER

Der Roman „Die satanischen Verse” versetzt auf kunstvolle Weise Figuren aus dem Koran in die Gegenwart, was radikale Muslime als Blasphemie empfanden. Irans Revolutionsführer Ajatollah Chomeini rief zur Tötung Rushdies auf und setzte ein Kopfgeld auf ihn aus. Die Fatwa richtete sich auch gegen alle an der Verbreitung des Buches Beteiligten. Ein japanischer Übersetzer wurde getötet. Rushdie musste untertauchen, erhielt Polizeischutz.

Im Jahr 2007 wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen.  <span class="copyright">AP Photo/John Stillwell, PA</span>
Im Jahr 2007 wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen. AP Photo/John Stillwell, PA

Er verarbeitete diese quälenden Jahre 2012 in seiner Autobiografie „Joseph Anton” – benannt nach seinem Decknamen in jener Zeit. Rushdie zog nach New York und beschloss, dass er sich nicht mehr verstecken will. Er sei nicht mehr eingeschränkt in seiner Bewegungsfreiheit und brauche auch keine Bodyguards mehr, sagte er mehrfach in Interviews.

2022 wurde er während eines Vortrags in den USA mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt.
2022 wurde er während eines Vortrags in den USA mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt.

Dann aber holte ihn die Fatwa doch noch ein: 2022 wurde er während eines Vortrags in den USA mit einem Messer angegriffen und schwer verletzt. „Es war eine knappe Sache, ich bin froh, immer noch hier zu sein”, sagte Rushdie am Freitag in Frankfurt. Er verdanke sein Überleben den Ärzten, die ihn achteinhalb Stunden lang operierten. Der Autor ist seither auf einem Auge blind.

2022 wurde er während eines Vortrags in den USA mit einem Messer angegriffen und ist seither auf einem Auge blind.   <span class="copyright">Kirill KUDRYAVTSEV / AFP</span>
2022 wurde er während eines Vortrags in den USA mit einem Messer angegriffen und ist seither auf einem Auge blind. Kirill KUDRYAVTSEV / AFP

Rushdies Stil wird als magischer Realismus bezeichnet, in dem sich realistische mit fantastischen Ereignissen verweben. Dennoch sieht er sich unbedingt der Wahrheit verpflichtet – und dem freien Wort. Rushdie veröffentlichte mehr als zwei Dutzend Romane, Sachbücher und andere Schriften. Im Jahr 2007 wurde er von der Queen zum Ritter geschlagen.