Peter Reichls Homo Cyber

Vortrag über die digitale Verantwortung und den menschlichen Kern.
Feldkirch In einer Zeit, in der die digitale Transformation unsere Lebensweise grundlegend verändert, bringt Informatiker Peter Reichl von der Universität Wien mit seinem Buch „Homo Cyber“ eine neue Perspektive in die Diskussion. In Anlehnung an Max Frischs „Homo faber“ zeichnet Reichl ein Bild der heutigen Gesellschaft, die an einem Wendepunkt stehe, ähnlich dem nach der Erfindung der Atombombe. „Homo Cyber“, so Reichl, sind wir alle – jeder, der in irgendeiner Form zur digitalen Welt beiträgt, trage auch Verantwortung für ihre Gestaltung.
Reichl, der in München und Cambridge Mathematik, Physik und Philosophie studierte und in Aachen und an der ETH Zürich in Informatik promovierte, betont die Dringlichkeit, den digitalen Wandel menschenzentriert voranzutreiben. Er warnt vor einem „Tsunami der Desinformation“ und stellt die dringende Frage nach der Zukunft der Bildung und den Werten, die wir vermitteln sollen. Das digitale Zeitalter, so Reichl, stelle eine Herausforderung dar, die mit den Umwälzungen durch die Erkenntnisse von Kopernikus und Darwin vergleichbar sei. Er spricht in diesem Zusammenhang von einer „anti-kopernikanischen Wende“, die den Menschen wieder in den Mittelpunkt der technologischen Entwicklung rücken soll. Diese Wende erfordert eine bewusste Auseinandersetzung mit der Frage, welche digitalen Errungenschaften wir wirklich wollen und wo wir Grenzen setzen müssen.
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Als Mitunterzeichner des Wiener Manifests für „Digitalen Humanismus 2019“ betont Reichl, dass dieses Werk eine Antwort auf die Notwendigkeit sei, die digitale Welt menschlich und human zu gestalten. Das Manifest, das an der TU Wien initiiert wurde, spiegelt das wachsende Bewusstsein innerhalb der Informatik-Community wider, dass sie Verantwortung für die Welt trägt, die unter ihren Händen entsteht.
Ein zentrales Thema in Reichls Ausführungen ist der „Verlust der Körperlichkeit“ im digitalen Zeitalter. Er kritisiert die virtuelle Welt, die unsere physische Existenz ignoriert und uns in eine Scheinrealität von Allmacht und Unsterblichkeit lockt. Dieser Verlust der Körperlichkeit, so Reichl, könne sich in unseren Alltag einschleichen, etwa durch Technologien wie E-Voting, die das physische Erleben demokratischer Prozesse ersetzen.
In Bezug auf das Bildungssystem fordert Reichl ein vertieftes Verständnis der Informatik und ihrer Auswirkungen. Er betont, dass die bloße Nutzung digitaler Medien nicht ausreicht, um die Komplexität der digitalen Welt zu verstehen und verantwortungsvoll damit umzugehen. Das Bildungssystem stehe vor der Herausforderung, junge Menschen auf eine Welt vorzubereiten, in der digitale Technologien allgegenwärtig sind, ohne dabei die kritische Reflexion zu vernachlässigen.
Abschließend appelliert Reichl an das Bewusstsein und den Mut des Einzelnen, sich den Herausforderungen des digitalen Wandels zu stellen. Er betont, dass es möglich ist, bewusste Entscheidungen gegen die Allgegenwart digitaler Technologien zu treffen und ermutigt uns, die Kontrolle über unser Leben in einer zunehmend digitalisierten Welt zu behalten.
Tangenten
Sa. 3. Feb. 2024, 19.30 Uhr, Theater am Saumarkt
Peter Reichl: HOMO CYBER – Ein Bericht aus Digitalien
Moderation: Peter Bilger