„Ein Glück Seltenes zu sehen“

Interview mit Monika Helfer über ihr neues Buch.
Hohenems Mit „Der Stoff“, ein Buch in der Residenz-Verlag-Serie „Dinge des Lebens“, erweckt die Vorarlberger Autorin Monika Helfer ein Kleinod an Geborgenheit zum Leben – ein Interview über Sehnsucht, Gedankenblitze und Schatzkisten.

Frau Helfer, Sie beschreiben ziemlich genau, wie man in Ihrer Kindheit/Jugend mit Stoffen umging. Gibt es in Ihnen die Sehnsucht nach der „guten alten Zeit“?
Die gute alte Zeit ist bei mir Sentimentalität, verbunden mit Sehnsucht. Aber in Wahrheit war die gute alte Zeit nicht besser. Wenn ich an die Rechte der Frauen denke, bin ich froh, in der heutigen Zeit zu leben.
Ich erfreue mich immer wieder an Ihren beachtlichen Gedankenblitzen: Zum Beispiel wie es von der Lüge zur Wahrheit kommt, oder dass der Frühling im Paradies keinen Namen hat. Denken Sie hier lange nach, oder kommt das intuitiv?
Ach, das sind Blitz-Einfälle, die ich schnell niederschreibe.

Gewand hat für Sie viel mit Würde (und Selbstwert) zu tun, oder?
Auf jeden Fall. Bin ich fein angezogen, habe ich mein Gewand mit Bedacht gewählt, bewege ich mich gleich vorsichtiger. Im Pyjama ist es bequemer, aber auch schlampiger.
Schaffen Sie es in Wien an Flohmärkten vorbeizukommen, ohne einen Blick hineinzuwerfen?
Ich liebe den Wiener Flohmarkt, weil es dort Ausgefallenes gibt, Vergessenes, Einmaliges. Es ist, als wäre ich in einer anderen Welt. Leider gibt es immer mehr Gewöhnliches. Ein Glück, etwas zu sehen, das es selten gibt.
Wie wichtig ist es für Sie, sich durch Ihr Erscheinungsbild von anderen abzugrenzen?
Ich will mich nicht abgrenzen, liebe aber die Vorstellung, ein Kleid zu tragen, das es nur einmal gibt. Zum Beispiel, weil ich mir eine Spitze angenäht, oder die Knöpfe ausgetauscht habe.

Sie sprechen die Modeindustrie kritisch an – ist im Menschen die Kreativität verloren gegangen, sich individuell zu kleiden, oder war diese Gabe schon immer wenigen vorbehalten?
Etwas schnell zu kaufen, nur einmal anzuziehen und es dann wegzugeben, ist mir völlig fremd. Ich besitze Kleider aus meiner Mädchenzeit, die mir noch passen. Einen Faltenrock aus meiner Schulzeit, trage ich den, bin ich wieder die Schülerin, die Vokabeln vergessen hat.
Öfter kritisieren Sie die in den 70er-Jahren wurzelnde Wegwerfmode, Stichwort „Nyltesthemden“ – tatsächlich belastet die Modeindustrie sehr die Natur.
Ich glaube, Kaufen und Wegwerfen ist wie Junkfood, schnell gegessen, den Magen verdorben. Sind die Stoffe gut, greifen sie sich vernünftig an, will man sie nicht gleich verschwinden lassen. Man kann sie umnähen und schlussendlich als Putzlumpen verwenden. Ein Putzlumpen aus Synthetik taugt nichts.
Sehr schön auch Ihre Assoziation bezüglich des Plastikgewands, mit dem fluchtartigen Blick nach vorn, obgleich der WK2 in Österreich nicht aufgearbeitet war. Wie sehr sind für Sie Gewand und Mode ein Spiegel der Zeit?
Der Spiegel der Zeit ist die Ungeduld, die Schnelllebigkeit. Widerstand, Verweigerung sind wichtig, sie geben mir das Gefühl von Anständigkeit.
![ABD0070_20211018 – FRANKFURT/M. – DEUTSCHLAND: 18.10.2021, Hessen, Frankfurt/M.: Monika Helfer, Autorin des Buches “Vati”, steht vor dem Rmer. Helfer steht auf der Shortlist fr den Deutschen Buchpreis. Mit dem Deutschen Buchpreis wird der beste deutschsprachige Roman ausgezeichnet. Der Preis ist mit insgesamt 37 500 Euro dotiert. Der Preistrger erhlt 25 000 Euro, die brigen fnf […]](/2024/03/ABD0070-20211018-1-768x560.jpg)
Beerdigungen sind ein wiederkehrendes Thema in ihrem Buch. Ist es noch immer so wichtig, den Gestorbenen in seinem „besten Gewand” zu verabschieden?
Das wiederum hat mit Würde zu tun. Beerdige ich meinen Vater, will ich, dass er sein liebstes Gewand trägt. Schließlich wird er es bis in alle Ewigkeit tragen.
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Bei Frau Bottoni, bei der Sie in ihrem Kurzwarengeschäft wühlen durften, muss das für Sie als Kind eine fantastische, funkelnde Schatzkiste gewesen sein, oder?
Schatzkisten sind für mich das absolute Glück, was nicht heißt, dass wertvolle Dinge enthalten sind, es geht um die Überraschung, das Wühlen, um zu finden.
Ich habe mich bei der Lektüre Ihres Buches sehr bald beim Gedanken ertappt, dass Gewand so etwas wie eine Seele haben kann. Zumindest, dass der Träger es damit ausstattet.
Schön, wie Sie das sagen.
Sind die wiederholenden letzten Zeilen in Ihrem Buch eine Art Resümee? „Ist der Mensch arm, wird der Stoff billig sein, ist er noch ärmer, sind es Lumpen, mit denen er sich bedeckt. Ein reicher Mensch zeigt sich in Feinem.”
Resümee und Poesie.
Martin G. Wanko
Monika Helfer: „Der Stoff“, 60 Seiten, Residenz Verlag. Residenz Verlag