Widerstand und Hoffnung

Kultur / 20.05.2024 • 13:05 Uhr
Igor Levit
Im Bregenzer Festspielhaus fusionierten Tanz, Live-Musik und politische Botschaft zu einem mitreißenden Erlebnis. THOMAS SCHERMER

Weltpremiere von “The People United” begeistert das Bregenzer Festspielhaus.

Bregenz Vergangenen Samstag erlebte das Bregenzer Festspielhaus die Weltpremiere von ‘The People United’. Der US-amerikanische Choreograf Richard Siegal und sein Ballet of Difference hatten sich mit dem Pianisten Igor Levit für einen Abend aus Tanz und Live-Musik vereint, wobei Frederic Rzewskis “The People United Will Never Be Defeated” im Mittelpunkt stand.

Igor Levit
Die tänzerische Umsetzung war ein eindrucksvolles Beispiel für das Zusammenwirken von Körperkunst und politischer Botschaft. THOMAS SCHERMER

Rzewskis Variationen wurden von dem Lied „¡El pueblo unido, jamás será vencido!“ („Das vereinte Volk wird niemals besiegt werden“) inspiriert, das von Sergio Ortega und der Gruppe Quilapayún als Hymne für die Einheit des chilenischen Volkes geschrieben wurde. Rzewski gliederte sein Werk in sechs Gruppen mit jeweils sechs Variationen, die jeweils eine musikalische Idee in verschiedenen Stilen und Techniken ausloten, von der strengen Kanonform bis hin zu freieren, improvisatorischen Abschnitten. Die 36 Variationen sind ein Aufruf zum Widerstand und zur Hoffnung. Rzewski betont die Bedeutung kollektiver Anstrengung und Ausdauer – Themen, die in Zeiten globaler Unsicherheit besonders aktuell sind.

Igor Levit
Das Bühnenbild von Matthias Singer schuf eine eindrucksvolle Kulisse. THOMAS SCHERMER

Rzewskis Komposition bleibt trotz ihrer Komplexität zugänglich. Sie fordert jedoch den Interpreten heraus, nicht nur seine technischen Fähigkeiten unter Beweis zu stellen, sondern auch eine tiefe emotionale und philosophische Botschaft zu vermitteln. Igor Levit näherte sich diesem Werk, indem er seine eigenen Nuancen und sein eigenes Verständnis in seine Interpretationen einfließen ließ, die das lebendige Erbe des Werkes weitertragen. Levit spielte nicht nur Klavier, er klatschte auch auf seine Oberschenkel und auf die Klavierbank und begleitete sich mit Pfeifen und Rufen.

Igor Levit
Die 36 Variationen sind ein Aufruf zum Widerstand und zur Hoffnung. THOMAS SCHERMER

Seine Finger glitten mit scheinbar müheloser Geschwindigkeit über die Tasten, jeder Ton klang klar und deutlich, selbst in den kompliziertesten Passagen der Variationen. Der weltberühmte Pianist zeigte eine außergewöhnliche Fähigkeit, die dynamischen Schwankungen und rhythmischen Nuancen des Stückes zu navigieren. Er verlieh jeder Variation eine eigene Farbe und einen eigenen Charakter, wobei die musikalischen Themen der Solidarität und des menschlichen Kampfes stets im Vordergrund standen. Besonders beeindruckend war, wie Levit die Extreme des Werkes auslotete – von reicher, fast meditativer Besinnlichkeit bis hin zu explosiven Ausbrüchen leidenschaftlicher Intensität.

Igor Levit
Jeder Sprung, jeder Schritt, jede Bewegung war technisch perfekt. THOMAS SCHERMER

Richard Siegal hielt sich mit seiner Choreografie respektvoll zurück und überließ dem Komponisten und dem virtuosen Spiel Levits die Hauptrolle. So wurde die tänzerische Umsetzung zu einem eindrucksvollen Beispiel für das Zusammenspiel von Körperkunst und politischer Botschaft. Die Darbietung des gesamten 11-köpfigen Ensembles, das stets einzeln oder in kleinen Gruppen das “United” kontrastierend auf die Bühne trat, war von einer selten gesehenen Intensität – mal lyrisch, mal dramatisch – und machte die Produktion zu einem kraftvollen Statement über menschliche Verbundenheit und individuelle Freiheit. Jeder Sprung, jeder Schritt, jede Bewegung wurde nicht nur technisch perfekt, sondern auch mit großer, mitreißender Leidenschaft ausgeführt.

Igor Levit
Levit bewies eine außergewöhnliche Fähigkeit, mit den dynamischen Schwankungen und den rhythmischen Nuancen des Stücks zurecht zu kommen. THOMAS SCHERMER

Das Bühnenbild von Matthias Singer schuf eine eindrucksvolle Kulisse, die die emotionale Wucht der Darbietungen unterstrich. Jedes Lichtspiel, jeder Schatten trug dazu bei, die Erzählung zu vertiefen und die dramatische Spannung zu erhöhen. Singers Lichtdesign unterstützte die Intensität der Musik und der tänzerischen Darbietungen durch sorgfältig gestaltete Lichtlandschaften.

Igor Levit
Zum Schluss umringten die Tänzer das Klavier und lösten sich schließlich in alle Richtungen auf. THOMAS SCHERMER

Kurz vor dem Finale wurde die Bühne in Dunkelheit getaucht, die Tänzerinnen und Tänzer waren verschwunden, nur ein Lichtkegel beleuchtete das Klavier und Levit. Die Musik verklang im Pianissimo und alle Aufmerksamkeit im Saal richtete sich auf Levits meisterhaftes Spiel. Dann kamen die Tänzerinnen und Tänzer wieder auf die Bühne, umringten das Klavier, lösten sich schließlich in alle Richtungen auf und als Schlusspunkt erinnerte ein am Boden zusammengebrochener Tänzer an all die Opfer der Diktatur. Stehende Ovationen.