Endlich wieder Zugluft
Reisen in frischer Luft und digitale Wüsten.

Salzburg Unlängst stand ich umständehalber am sehr frühen Vormittag mit leichtem Gepäck bei prächtigem Wetter am Salzburger Hauptbahnhof. Es stellte sich die Frage, was zu tun sei. Nur Dornbirn als Tagesziel war vorgegeben, aber weder in ört- noch zeitlicher Hinsicht in Stein gemeißelt. Theoretisch wäre also viel zu tun gewesen, praktisch nichts. Einen eben heranbrausenden Railjet habe ich weitersausen lassen. Für einen Stadtbummel durch die schönste Stadt der Welt, wie sie meine erste Geografie- bzw. Erdkundelehrerin Frl. Sutter genannt hat, war ich zu wenig motiviert. Die Stadt läuft nicht davon und steht dann eh im Sommer auf dem Programm. Eigentlich möchte ich mein tolles Klimaticket Österreich zur Wirkung kommen lassen.
Und schon geht´s los: Auf Bahnsteig 9, weit vom Schuss, steht der Rex 1508 über Bischofshofen, Zell am See, Saalfelden und Hochfilzen nach Wörgl zur Abfahrt bereit. Da setze ich mich fröhlich hinein und habe den Wagon praktisch für mich allein. „Bei Zugluft sind die Fenster dieser Wagenseite zu schließen“: Wie lange habe ich das in einem Zug der ÖBB nicht mehr gelesen? Tatsächlich geht die Fahrt bei geöffnetem Fenster mit grandioser Zugluft (!) der Salzach entlang durch den wundervollen, himmelblauen Tag dahin.

Die Pongauer und Pinzgauer Bauern sind im großen Stil mit der Heuernte beschäftigt. Da wird zwar nicht überall, doch weithin in alter Manier das Heu zwischen den Maden von Bäuerinnen und ihren Töchtern – Mägde werden es wohl nicht mehr sein – zusammengerecht. Es ist eine Freude, das zu sehen.

Ich wäre nicht ich, würde mich nicht ein Büchlein begleiten, eine kleine Broschüre zur Frage „Wie weiter mit Max Weber?“. Weber (1864–1920), einer der Gründer der wissenschaftlichen Soziologie, hat in seinem von tiefen persönlichen Krisen zerrissenen Leben ein bis heute gültiges Denken zu Fragen von Macht und Herrschaft, Ökonomie und Religion, Rationalisierung und Bürokratisierung geschaffen. Vom „stählernen Gehäuse“ der modernen gewerblichen Arbeit hat Max Weber geschrieben: Wunderbar, wie archaisch und erdverbunden sich daneben die bäuerliche Arbeit präsentiert.
![ABD0154_20240407 – ZELL AM SEE –
STERREICH: ++ THEMENBILD ++ ZU APA0196 VOM 7.4.2024 – Illustration zu den frhsommerlichen Temperaturen in
sterreich. Im Bild: Menschen khlen sich im Zeller See ab und gehen schwimmen, aufgenommen am Sonntag, 07. April 2024 in Zell am See. Das Wochenende brachte insgesamt au§ergewhnlich hohe Temperaturen. Es war um etwa […]](/2024/06/ABD0154-20240407-1-768x512.jpg)
Ein Zwischenstopp im quirligen, trendigen, stark arabisch bevölkerten Zell am See holt mich wieder in die Realität zurück. Dieser Mission haben sich offenbar auch die vom Schulausflug heimkehrenden Buben und Mädchen verschrieben, die mich zwischen Kitzbühel und Hopfgarten einkreisen. Unverzüglich und ausnahmslos holen sie nicht Landjäger oder Trinkflaschen, sondern Handys aus ihren Rucksäcken und begeben sich, ohne die wirkliche Welt, in der sie ausflugshalber unterwegs sind, eines Blickes zu würdigen, in die Virtualität, eine Virtualität der hirnrissigsten Sorte, wie der Blick auf das Display meines Sitznachbarn zeigt.
![ABD0001_20230806 – SALZBURG –
STERREICH: ++ THEMENBILD ++ “Bergsport ist Motorsport”, besagt ein gngiger Slogan. Das klingt berspitzt, das Gros der Wanderer und Bergsteiger fhrt aber nach wie vor mit dem eigenen Pkw zum Ausgangspunkt ihrer Touren. Dabei kme dem Verkehr bei der Bekmpfung der Klimakrise eine wichtige Rolle zu: Er ist einer jener Sektoren, […]](/2024/06/ABD0001-20230806-1-768x506.jpg)
In Wörgl steige ich um in den vollklimatisierten kühlen Railjet, in das bis auf den letzten oder vorletzten Platz gefüllte Ruheabteil. Die relative Ruhe, die hier herrscht, verdankt sich ausschließlich der allgemeinen Versenkung ins Digitale. Es wird geschrieben, Musik gehört, Film geschaut, gescrollt und was weiß ich noch alles. „Webers Blick geht auf die Folgen des Umbruchs – die völlige Durchsetzung bürokratischer Realität“, lese ich in meinem Büchlein. Wie die Folgen der völligen Durchsetzung digitaler Realität ausschauen werden, möchte ich nicht mehr erleben. Zugendstation. Bitte alle aussteigen.
Peter Natter