Wenn Linie zum Raum wird

Kultur / 02.07.2024 • 15:16 Uhr
Karl Kriebel
Die Sommerausstellung im Bildraum Bodensee zeigt Arbeiten von Karl Kriebel.

Karl Kriebel präsentiert im Bildraum Bodensee seine neuesten Arbeiten.

Bregenz Mit von Hand gezeichneten Linien erforscht Karl Kriebel, geboren 1968 in Wien, Fläche und Raum und damit einhergehend Perspektive. Wann wird der Raum zum Raum? Wann wird die Linie zur Fläche? Man könnte durchaus seinen Vergleich anstellen: „Johann Sebastian Bach komponierte Fugen über musikalische Themen, Kriebel komponiert Fugen zu räumlichen Themen.

Karl Kriebel
Karl Kriebel studierte bei Adolf Frohner an der Akademie für angewandte Kunst in Wien.

Fugen über Fugen (bitte die Doppeldeutigkeit des Begriffs zu beachten)“, so formulierte es die Kunsthistorikerin Clara Kaufmann. Ist Bach ein Meister der Fuge, ist Kriebel ein Meister der Linie. Sein Liniengefüge ist so komplex wie das Kompositionsprinzip polyfoner Mehrstimmigkeit. Verdichtungen, Verschneidungen, Verdrehungen, mehrheitlich horizontale Linien, die in Summe zu einem Geflecht werden und unser Gehirn, oh Wunder der Natur, konstruiert daraus Flächen, Räume, imaginierte Räume.

Karl Kriebel
Karl Kriebels Fensterbilder, 2009-17, Öl auf Leinwand, je 60 x 50 cm.

Karl Kriebel kommt eigentlich „von der Figur“, er studierte bei Adolf Frohner an der Akademie für angewandte Kunst in Wien. Frohner war es auch, der meinte: „Nichts der Natur und den Menschen so fern wie ein Bleistiftstrich“ sei, und “Zeichnen heißt: sich gegen Farben zu entscheiden“, während „Farbe verwenden heißt: sich dem Vitalen zuwenden, die schwarze Linie benützen dagegen – dem Gleichnis.“ Das ist ein interessanter Aspekt in der Kunst Karl Kriebels, denn seine dynamische, multiperspektivische Raumanordnungen strotzen geradezu vor Vitalität, verweigern sich dem Gleichnis, evozieren Raumsituationen, die vielleicht gar keine sind, die Kriebel als solche auch gar nicht beabsichtigt, sondern die aus einer unbändigen Lust am Gestalten, am Spielerischen, aus einer inneren Unruhe heraus entstehen, am Schaffen von Raumstrukturen, wie man sie noch nie gesehen hat. Was mit der Fläche funktioniert, muss auch mit der Linie funktionieren, wobei die Linie mal mit, mal gegen die Fläche arbeitet.

Karl Kriebel
2-90 1, 2018, Collage, Papier auf Holz.

Von einer Brillanz sind Kriebels mit Collagen und Inkprint überarbeitete „Architekturfotografien“, wie der Theseustempel im Wiener Volksgarten oder eine U-Bahnstation. Peter von Nobile, der Erbauer des Theseustempels (1819/23) bediente sich bei dessen Innenraumgestaltung ungeniert beim Bild „Trinität“ (zwischen 1428/28) des Florentiner Künstlers Masaccio, der für seine Dreifaltigkeitsdarstellung als einer der ersten Künstler des 15. Jahrhunderts die Zentralperspektive benutzte. Karl Kriebel Intension ist es, mit Architektur-Räumen zu spielen, sie zu verändern, die Frage aufzuwerfen, in welchem Umfang müssen die künstlerischen Interventionen sein, damit aus diesem Raum ein anderer, ein autonomer Raum wird?

Karl Kriebel
Im Vordergrund R m, 2024, Collage, Mischtechnik, Papier dahinter Ohne Titel, 2019.

Von ganz anderer Qualität sind seine „Fenster“-Malereien in Öl auf Leinwand, vornehmlich in Grau-, Ocker-, Braun-, Schwarz- und Grüntönen gehalten. Sind es Ausblicke, sind es Einblicke? Karl Kriebel hat dafür eine neue Wortschöpfung generiert: „Ausblickein“. Wiederum Raumschichtungen, erzeugt durch lasierende Ölfarben. Die Lasur steigert den Glanz und die visuelle Tiefe. Fantastische Bildwelten, in denen der rechte Winkel dominiert. Je größer das Gewahrsein der bewussten Schichten ist, desto mehr kommen die verborgenen Schichten an die Oberfläche und verlangen ihren Raum, nein sie fordern, erobern sich ihren Raum, wie Alberto Giacometti einmal manifestierte: Der Raum existiert nicht, man muss ihn schaffen.“ Karl Kriebel Arbeiten schaffen sich ihren Raum.

Thomas Schiretz

Karl Kriebel|ONLY …

Bildraum Bodensee
Bis 3. September 2024

Dienstag und Donnerstag 13 bis 18 Uhr, Freitag und Samstag 11 bis 16 Uhr
www.bildraum.bildrecht.at