Michael Köhlmeier: „Klare Lyrik in schwierigen Zeiten“

Kultur / 01.08.2024 • 14:00 Uhr
Michael Köhlmeier: „Klare Lyrik in schwierigen Zeiten“
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Eine Analyse zum neuen Gedichtband von Michael Köhlmeier

Bregenz Wer zu Köhlmeier kommt, kommt nie zu spät, zumindest was seine Gedichte anbelangt. In seinem dreiteiligen Gedichtband „Im Lande Uz” legt er seine lyrische Bilanz aus den letzten Jahren vor, die von einer düsteren Klangfarbe beseelt ist. Der Autor Michael Köhlmeier erhellt im Gespräch und gibt Antwort.  

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Michael Köhlmeier spiegelt im ersten Teil „Im Haus Des Feindes, Im Haus Des Freundes“ Katastrophen, Kriege, unschöne Ereignisse gegenüber schöner Alltagsästhetik. Lässt man auf den ersten Seiten seinen Augen freien Lauf, sammeln sich Wörter wie: Helden, Sorgen, Opfer, Angst … ziehe dichtes Schuhwerk an. Warm anziehen also, denn der Band wird von einer düsteren Wolke überschattet. Doch warum eigentlich? „Die meisten Gedichte sind während der Pandemie entstanden. Ich hatte den Eindruck und sehe es immer noch so, dass diese wüsten Jahre mehr verändert haben, als man erwartet hätte. Die Pandemie wirkte wie ein Brandbeschleuniger. Emotionen sind ausgebrochen, die gar nichts mit der Pandemie zu tun hatten, die darauf gelauert haben, zu explodieren. Gesellschaftliches Vertrauen ist zerbrochen”, so der Autor. 

„Wer kein Gesicht hat, beansprucht Macht.”

In Formlosigkeit, ohne Versmaß, bewusst unprätentiös – gedanklich jedoch sehr präzise – öffnet Köhlmeier uns seine Gedankenwelt: Zu spät kommt man deshalb schwer, weil Köhlmeiers Gedichte ein Fragment laufender Prozesse sind, ein Teil des Lebens. Ein kurzer Ausschnitt, eine Tortenecke eines Ganzen, die die Gesamtheit doch in sich birgt. Köhlmeiers Lyrik lädt einen ein, mitzugehen, mitzumarschieren, mitzudenken, geschmeidig und zugleich spannungsgeladen wie in Shakespeares mittelalterlichen Gedankenwelten. Wie etwa: „In der alten mächtigen Nacht zog ich los, um mir Waffen zu besorgen. Euer Lied war immer auch meines gewesen.”

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Der Höhepunkt ist sicher der 2. Teil, das Langgedicht „Im Lande Uz”. Der zitierte Allen Ginsberg lässt grüßen, ein Fahrstuhl zum Schafott wird vom Autor in Fahrt gesetzt: „Allen Ginsbergs Gedicht Howl hat, als ich es vor vielen Jahren zum ersten Mal las, einen Orkan an Gefühlen in mir ausgelöst. Es ist neben The Waste Land von T. S. Eliot das bedeutendste Langgedichte des 20. Jahrhunderts. Man erfährt darin alles über eine Generation und viel über den Menschen an sich. Natürlich waren diese beiden Werke Vorbild für mich. Ich glaube, unsere Generation – ich meine hier in Europa oder auch in Nordamerika – leidet unter einem sehr merkwürdigen, einem unheimlichen Minderheitskomplex, nämlich: dass der Weltgeist uns einer Katastrophe nicht für würdig erachtet. Davon handelt mein Gedicht Im Lande Uz. Mit diesen Worten beginnt das Buch Hiob aus der Bibel.” Die folgende Passage ist hervorzuheben: „O Gott, lass mich einer Katastrophe würdig sein, auf dass du tun kann, die, die sich gegen das Sterben nicht mehr wehren – eingehst unter mein Dach und meine Seele gesund wird!“

Mit diesem Ende könnte man gut leben, wenn uns nicht noch eine gewichtige Frage in die Realität zurückführen würde: Wann schreibt der Romancier Köhlmeier Gedichte? Bekanntlich hat hier jeder Autor so seine Eigenheiten. „Das Schöne an meinem Beruf ist, dass er keine Arbeitszeit kennt. Hobby – um dieses hässliche Wort zu verwenden – und Beruf sind eins. Ich habe immer einen Bleistift und ein Notizbuch bei mir”, erzählt Köhlmeier. “Der Zündfunke für ein Gedicht kann immer und überall angeschlagen werden. Man muss gefasst sein. Ich mag es, im Regen spazieren zu gehen und dann den Schirm unter den Arm zu klemmen und ein paar Sätze aufzuschreiben. Zu Hause dann wird daran gefeilt. Oder auch nicht. Manche Gedichte schreiben sich von selbst. Da traue ich mich nicht, daran herumzunörgeln.” MGW