Ein Leben vorgestellt in wenigen Sätzen

Monika Helfers Kurzgeschichtensammlung „Wie die Welt weiterging“.
Hohenems In den nächsten Tagen erscheint Monika Helfers Kurzgeschichtensammlung in gesammelter Form.
757 Seiten Kurzgeschichten zwischen zwei Klappdeckel, das sind 365 Geschichten, für jeden Tag eine – das ist ja auch eine Art Lebenswerk in Mosaikform. Welchen Zugang haben Sie?
Helfer: Ich sehe mich in den Geschichten als Beobachter, Schreiber und Erfinder. Aus beinahe jedem Gesicht kann ich lesen. Es wird vielleicht nicht stimmen, was ich schreibe, weil es am Ende meine Geschichte ist, und der Mensch, über den ich schreibe, weiß nichts davon. Immer habe ich sie schon geliebt, die Shortstorys. Um nur einige Autoren, die diese Kunst beherrschen, zu nennen: Tschechow, Raymond Carver, John Cheever, Sherwood Anderson, Lydia Davis, Dorothy Parker Hemingway … Alle sind einzigartig. Als dann Alice Munro 2013 den Nobelpreis bekommen hat, war es wie eine Bestätigung für mich. So wenig Buchstaben und soviel gesagt, ein Leben vorgestellt in wenigen Sätzen.

Das Spannende ist, man weiß wirklich nicht, wie Ihre Geschichten ausgehen, man ertappt sich dabei, die Seiten gierig umzudrehen – ab welchem Zeitpunkt wissen Sie, wie Ihre Geschichten enden?
Helfer: Kann eine Geschichte überhaupt ausgehen? Der Leser soll sie weiterdenken. Am liebsten wäre mir, wenn die Geschichten Kiesel wären, über die man geht.
Beispielsweise zu Ihrer sehr berührenden Paula-Geschichte „Mein Wald“: Bekommen Sie Reaktionen von Ihren Lesern?

Helfer: Immer wieder regieren die Leser auf meine Geschichten (die ich zum Teil in den VN veröffentlicht habe). Das ist ein wohliger Zuspruch. Geschrieben habe ich fast tausend solche Geschichten. Selten werde ich kritisiert, was für mich dann auch hilfreich ist.
Die Geschichte „Was einmal aus mir werden wird“ umspannt einen gewissen Zeitrahmen. Begleiten Sie öfter Menschen über eine gewisse Zeit, bevor sie eine Geschichte darüber schreiben?
Helfer: Begleiten ist das falsche Wort. Manche Geschichten verlangen eine kleine Fortsetzung. In diesem Titel ist so viel enthalten, erinnern Sie sich an die Zeit, als Sie noch nicht wussten, was einmal aus Ihnen werden würde. Das nimmt kein Ende.

Zum einen sind ihre Geschichten sehr realistisch, zum anderen kommen Schamanen oder Krieger vor. Das spricht von einer sehr großen Bandbreite. Ist das Zufall oder beabsichtigt?
Helfer: Für mich gibt es nur die Realität – in der auch Geister und Schamanen vorkommen. Ich pflege guten Kontakt mit ihnen, obwohl sie mir manchmal Angst machen. Sie sind wie die Verstorbenen, die ich nicht vergesse. Wenn ich mich umschaue, weiß ich, dass sie in meinem Schreibzimmer nah an der Tapete warten.
Die Schamanin, der Krieger, diese Figuren leben also gleich „um die Ecke“.
Helfer: Sie sagen es. Krieger kenne ich einige. Sie laufen zwar nicht im Kostüm mit Schwert herum, und doch sind sie Krieger. Sie kämpfen um ihr Leben. Sie können brave Familienväter und Familienmütter sein. Mit einer Handbewegung wischen sie ihr Gesicht beiseite, und schon sehe ich einen Helden, einen Verräter, einen Heimatlosen, einen Wanderer, einen Wahnsinnigen oder den heiligen Franziskus.
Immer wieder kommt ein „kleiner Mann“ in Ihren Geschichten vor. Wofür steht der Ihre?
Helfer: Der Kleine Mann ist der kleine Mann, der hinter mir steht, mein Gewissen vielleicht, das mich ermahnt und sagt, wem ich Aufmerksamkeit schenken soll.
Der Autor und ehemalige Standard-Kolumnist Daniel Glattauer hatte zur Sicherheit eine „letzte Kolumne“ im Köcher, im Falle, dass ihm nichts Wesentliches mehr einfallen sollte. Die schrieb er dann nieder. Haben Sie auch etwas Ähnliches?
Helfer: Eine letzte Kolumne zu schreiben, würde für mich heißen, dass ich bald sterben muss.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Martin Wanko