“Die Schneiderei auf der Bühne war freiwillig”

Kultur / 18.10.2024 • 09:52 Uhr
Johanna Doderer
Johanna Doderer zählt zu den bedeutendsten Komponistinnen der Gegenwart. maria frodl

Johanna Doderer über die Grenzen und Möglichkeiten von Kunst in der provokanten Inszenierung “Sancta”.

Wien Die Oper „Sancta“ in Stuttgart hat intensive Reaktionen ausgelöst. Die Bregenzerin Johanna Doderer komponierte große Teile der Musik für diese Produktion.

Sancta von Paul Hindemith, Johanna Doderer, Johann Sebastian Bach, Born in Flamez, Stefan Schneider, Nadine Neven Raihani u.a. Opernperformance von Florentina Holzinger mit Paul Hindemiths Oper Sancta Susanna (Libretto: August Stramm), geistlichen Werken und Neukompositionen Musikalische Leitung: Marit Strindlund Regie und Choreografie: Florentina Holzinger Komposition und Arrangements: Johanna Doderer Komposition und Supervision Bühnenmusik: Born in Flamez Komposition und Sound Design: Stefan Schneider Komponistin und Produzentin: Nadine Neven Raihani Weitere Kompositionen: otay:onii, Odette T. Waller, Karl-Johann Ankarblom, Gibrana Cervantes, Christopher Kandelin, Josephinex Ashley Hansis Bühne und Kostüme: Nikola Knežević Lichtdesign: Anne Meussen, Max Kraußmüller Videodesign: Maja Čule Dramaturgie: Michele Rizzo, Judith Lebiez, Philipp Amelungsen, Fernando Belfiore, Miron Hakenbeck, Sara Ostertag, Renée Copraij, Felix Ritter Chor: Manuel Pujol Auf dem Bild Ensemble Foto: Matthias Baus
Die Oper “Sancta” sorgte deutschlandweit für mediale Aufmerksamkeit und Schlagzeilen. Matthias Baus

Waren Sie sich bewusst, dass die Aufführung so heftige Reaktionen hervorrufen würde – sowohl beim Publikum als auch in den Medien?

Johanna Doderer: Nein, das war mir im Entstehungsprozess noch überhaupt nicht bewusst. Ich schreibe die Musik lange, bevor die Details der Inszenierung klar sind. Aber Florentina Holzinger steht für sich, ihre Aufführungen sind bekannt provokant, aber vor allem gut. Das war auch der Grund, warum ich zusagte, sie versteht ihr Handwerk. Keine Musik berührt mehr als Musik, die berührt. Das klingt jetzt so einfach und schön gesagt, für mich bedeutet es aber immer die totale Hingabe an die Musik, in diesem Fall auch die Vorgaben. Die Kombination mit Musik aus anderen Sparten war spannend.

Die Kombination von katholischer Messe, Performance und Oper war in „Sancta“ außergewöhnlich. Wie war es für Sie, Ihre Musik in einem so provokativen und transgressiven Kontext zu sehen?

Das ist ja gerade das Interessante für mich. Es war dann doch ein Prozess und eine schwierige Aufgabe die Balance zwischen den verschiedenen Ebenen zu finden. Dieser Teil war mindestens so heikel wie die einzelnen Teile selbst. In dem Fall waren es auch die Übergänge, die das Werk machten.

Johanna Doderer
Johanna Doderer erhielt den Vorarlberger Kompositionspreis 2020. vlk/serra

Was hat Sie inspiriert, Stücke wie „Agnus Dei“, „Credo“ und „Benedictus“ für diese Aufführung zu komponieren?

Als die Anfrage von Florentina kam, hatte ich gerade eine Messe für einen anderen Anlass am Schreibtisch, heißt, die Messkompositionen waren das musikalische Wasser, in dem ich gerade schwamm. Die Anfrage kam genau im richtigen Moment.

Gibt es Grenzen, die Sie als Komponistin nicht überschreiten würden, wenn es darum geht, extreme Emotionen und Themen auf die Bühne zu bringen?

Doderer: Wenn die Musik politischen Zwecken dient oder Menschen bzw. Tiere zu Schaden kommen, würde ich auf keinen Fall meine Musik zur Verfügung stellen. Die Würde aller Darstellenden ist absolut einzuhalten. Auch bei “Sancta” war das so, denn diese „Schneiderei“ auf der Bühne war freiwillig, die Frauen haben das alle freiwillig und ich glaube sogar gerne gemacht. Die Stimmung bei den Proben oder nach den Aufführungen war durchgehend ausgelassen und gut. Ich verstehe auch nicht die Aufregung über diese Oper. Die Medien, Theaterbühnen, Filme sind voll mit Dingen, die das Maß an Grausamkeit – im Verhältnis zu “Sancta”- wesentlich übersteigen. Das nehmen wir täglich fast schweigend in Kauf.

Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.

Wie war die Zusammenarbeit mit Florentina Holzinger?

Doderer: Florentina, weiß genau, was sie will, und ich schreibe Musik, bei der jeder Ton notiert ist. Wir wissen beide, was Sache ist. So war es eine freundschaftliche, gute und entspannte Zusammenarbeit.

Ihre Werke verbinden oft traditionelle musikalische Formen mit zeitgenössischen Klängen. Wie finden Sie die Balance zwischen diesen beiden Welten?

Doderer: Ja, genau das ist es was mich interessiert. Diese Reise beginnt erst ….

Glauben Sie, dass Musik und Performance das Publikum aus seiner Komfortzone herausholen und konfrontieren sollten?

Doderer: Musik sollte immer die Kraft haben, etwas in uns auszulösen, uns zu berühren, uns mit uns selbst zu konfrontieren. Musik gibt Antworten, Musik wirft Fragen auf. Sie hat die Möglichkeit uns eine andere Dimension ahnen zu lassen. Es gibt so viel, was Musik kann. Gefällige Musik, die unsere Hörgewohnheiten befriedigt und uns in unserem Dasein allein lässt, finde ich unnötig und störend. Das ist der Anspruch, den ich an meine eigene Musik stelle, aber auch an Musik die ich sonst so höre.

Sancta von Paul Hindemith, Johanna Doderer, Johann Sebastian Bach, Born in Flamez, Stefan Schneider, Nadine Neven Raihani u.a. Opernperformance von Florentina Holzinger mit Paul Hindemiths Oper Sancta Susanna (Libretto: August Stramm), geistlichen Werken und Neukompositionen Musikalische Leitung: Marit Strindlund Regie und Choreografie: Florentina Holzinger Komposition und Arrangements: Johanna Doderer Komposition und Supervision Bühnenmusik: Born in Flamez Komposition und Sound Design: Stefan Schneider Komponistin und Produzentin: Nadine Neven Raihani Weitere Kompositionen: otay:onii, Odette T. Waller, Karl-Johann Ankarblom, Gibrana Cervantes, Christopher Kandelin, Josephinex Ashley Hansis Bühne und Kostüme: Nikola Knežević Lichtdesign: Anne Meussen, Max Kraußmüller Videodesign: Maja Čule Dramaturgie: Michele Rizzo, Judith Lebiez, Philipp Amelungsen, Fernando Belfiore, Miron Hakenbeck, Sara Ostertag, Renée Copraij, Felix Ritter Chor: Manuel Pujol Auf dem Bild Florentina Holzinger Foto: Matthias Baus
Florentina Holzinger ist bei “Sancta” auch auf der Bühne präsent.Matthias Baus

Wie sehen Sie die Rolle der Oper in der heutigen Gesellschaft?

Doderer: Oper darf schon provozieren, wenn die Provokation nicht zum Selbstzweck wird. Es geht doch um Aussagen und einen Blick auf unsere Gegenwart. Es ist doch eigentlich alles provokant, was uns derzeit aus den Medien entgegentritt. Und wenn dann Regisseure genau hinschauen und genau das aufzeigen, ja, dann ist das eben auch provokant. Aber es muss schon sehr gut gemacht sein. Florentina ist eine großartige Choreografin, und wenn Choreografie und Musik sich auf einer guten Ebene treffen und das Thema aktuell ist, dann kann das schon umhauen. Dazu komme noch, dass wir von den meisten Dingen (schrecklichen Dingen) ausschließlich über die Medien hören und lesen. Ein Live-Moment von Ereignissen, mit einer Musik, die uns berührt, trifft uns viel stärker. Oper ist moderner denn je. Der Live Moment wird zunehmend spannend in einer Zeit, in der die Menschen in digitalen Welten fast verschwinden.

Johanna Doderer
Das nächste Projekt von Johanna Doderer startet im kommenden Jänner. maria frodl

Wie würden Sie Ihre musikalische Entwicklung in den letzten Jahren beschreiben und welche Projekte planen Sie für die Zukunft?

Doderer: Ich bewege mich zunehmen auf dem dünnen Eis zwischen Ernster Musik und der sogenannten Unterhaltungsmusik. Ich nehme die U-Musik ernst und arbeite mit Musikern aus beiden Bereichen zusammen. Ein Projekt ist für Juni 2025 geplant, darüber möchte ich noch nicht sprechen. Meine nächste Opernpremiere findet im Herbst 2025 in München am Staatstheater am Gärtnerplatz statt (Libretto Peter Turrini). Ab Jänner 2025 läuft im Odeontheater in Wien ein Musiktheaterprojekt mit Musik von mir zum Internationalen Strauss Jahr.