Intensiver Tanz der Extreme: Schönheit und Gefahr

Kultur / 09.03.2025 • 16:29 Uhr
Company Wayne McGregor
“Deepstaria” verschmilzt Choreografie und Klangwelten zu einem Spiel von Schönheit und versteckter Bedrohung. udo mittelberger

Wayne McGregor eröffnet den Bregenzer Frühling zwischen Schwerelosigkeit und Dunkelheit.

Bregenz Sir Wayne McGregor ist nicht nur der bekannteste und produktivste britische Choreograf seiner Generation, sondern schafft auch regelmäßig rätselhafte und zum Nachdenken anregende Werke – besonders dann, wenn er sie mit seiner eigenen Kompanie, der Company Wayne McGregor, entwickelt. In “Deepstaria” geht er über die reine Bewegung hinaus und erfasst den gesamten theatralen Prozess.

Company Wayne McGregor
Die Produktion erinnert an das Schweben im Wasser. udo mittelberger

Mit einer reduzierten Choreografie, die sich auf Soli und Duette konzentriert, entfaltet sich eine faszinierende Inszenierung, die an das Schweben im Wasser erinnert. “Deepstaria” wurde beim Montpellier Danse Festival 2024 uraufgeführt – in Zusammenarbeit mit seiner Kompanie, dem Oscar-prämierten Sounddesigner Nicolas Becker und dem Musikproduzenten LEXX, die eine auf künstlicher Intelligenz basierende Klangkomposition schufen.

Company Wayne McGregor
In einer Mischung aus fließender Bewegung und tänzerischer Strenge entstehen klare Strukturen.udo mittelberger

Die Tänzerinnen und Tänzer bewegen sich mit erstaunlicher Präzision. Ihre Körperbilder verändern sich ständig: Linien verschmelzen zu Kurven, konvexe Formen kippen ins Konkave. In einer Mischung aus fließender Bewegung und tänzerischer Strenge entstehen klare Strukturen – unterstützt durch minimalistische Kostüme aus schwarzer Unterwäsche oder transparentem Tüll, die sie fast schwerelos erscheinen lassen.

Company Wayne McGregor
Die Leichtigkeit der Tänzerinnen und Tänzer kontrastierte mit der schwarzen Bühne. udo mittelberger

Doch mit dem Schweben allein ist es nicht getan. “Deepstaria” bezieht sich auf eine Quallenart, deren anpassungsfähige Form als Vorbild für die Bewegungsästhetik der Choreografie dient. “Deepstaria enigmatica” ist eine faszinierende Tiefseequalle, die für ihr ungewöhnliches, fast fensterartiges Aussehen bekannt ist. Sie hat einen fast durchsichtigen, flachen Körper, der an ein schwebendes Blatt erinnert. Die Leichtigkeit der Tänzerinnen und Tänzer kontrastiert mit der schwarzen Bühne, doch statt völliger Dunkelheit durchziehen milchige Lichtreflexe und Nebelschleier den Raum. Besonders eindrucksvoll und von berührender Schönheit ist der Moment, in dem ein Lichtregen über die Bühne zieht.

Company Wayne McGregor

Anders als in McGregors kraftvollen, oft energetischen Choreografien bleibt hier Raum für Stille. Die Inszenierung konzentriert sich auf Zweierkonstellationen, die zum genauen Beobachten einladen. Die Tänzer wirken wie Wesen aus einer fremden Welt, und doch entstehen zutiefst menschliche Begegnungen: Momente der Synchronität, flüchtige Kontraste, ein spannungsgeladenes Duett und ein einfühlsamer Pas de deux zwischen zwei Männern.

Company Wayne McGregor

Im Kontrast zur visuellen Leichtigkeit steht der Klang. Der Soundtrack von Nicolas Becker und Alex Dromgoole – Mitbegründer von Bronze AI, einer Software zur algorithmischen Entwicklung von Klängen – erschafft eine eigene akustische Welt. Keine Melodien, keine eingängigen Motive, stattdessen sich ständig wandelnde, pulsierende Klangflächen.

Company Wayne McGregor

Der Soundtrack ist sperrig, setzt auf monotone Strukturen, die an Maschinen erinnern. Mit der Zeit entfaltet die Musik eine betäubende Wirkung. In den Tiefen des Meeres scheint zunächst alles ruhig und schön – bis sich eine latente Bedrohung offenbart. Deepstaria spielt mit dieser Ambivalenz: Schönheit und Gefahr liegen nahe beieinander.

Company Wayne McGregor

Die Produktion zeigt, wie moderne Choreografie, innovative Klanglandschaften und minimalistische Bildelemente zu einem intensiven Dialog verschmelzen. Die Inszenierung besticht durch formale Stringenz, die zugleich Raum schafft für stille, eindringliche Momente, in denen tänzerische Präzision und die subtile Spannung zwischen Leichtigkeit und latenter Bedrohung spürbar werden. McGregors Arbeit erweitert den Blick auf die Möglichkeiten des Tanzes, indem sie nicht nur die körperliche, sondern auch die emotionale und intellektuelle Ebene berührt und so ein intensives, vielschichtiges Erlebnis schafft.

nächste aufführung

New Earth Uraufführung // Bolero X Österreichische Erstaufführung
Samstag, 5. April 2025
Beginn: 20 Uhr
Festspielhaus Bregenz

Choreografie Shahar Binyamini (beide Stücke)
Tänzer: Joseph Kudra, Roni Milatin, Dor Nahum, Rina Pinsky, Or Saadi, Maya Botzer Simhon, Naor Walker
Musik Collage // Boléro, M. 81 – Berliner Philharmoniker & Pierre Boulez
Licht Ofer Laufer // Shahar Binyamini
Kostüme Shahar Binyamini (beide Stücke)
Produktion 2025 // 2023
Spieldauer 55 // 16 Minuten