Kommentar: Kunst, Gesetz und Moral
Die Wiener Festwochen widmeten sich in ihrer Debattenschiene dem Verhältnis von Kunst, Moral und Gesetz und insbesondere dem totalitären und kriminellen Sektensystem des Otto Mühl. Eine Debatte, die über die strafrechtlich relevanten Fälle Otto Mühl, Florian Teichtmeister und Me-too bis hin zu der durch PC und Woke-ismus zunehmenden Vereinnahmung und Zensurirrung von Kunst reicht. Kevin Spacey oder Woody Allen stehen exemplarisch für öffentliche Vorverurteilung und Ächtung.
Ich bitte meinen Kommentar also nicht als Tolerierung strafrechtlich relevanten Verhaltens misszuverstehen, sondern vielmehr als ein Plädoyer für die Freiheit der Kunst zu lesen. Denn es ist eine selbstgerechte Jakobinermoral und eine willfährige und ängstlich sich an den Zeitgeist anpassende Kulturnomenklatura sowie Medienszene, die, indem sie Kunst nur mehr unter moralischen Gesichtspunkten beurteilt und einen einwandfreien moralischen Lebenswandel von Künstlerinnen und Künstlern voraussetzt und einfordert, eine Stimmung schafft, die zunehmend die Freiheit der Kunst und letztlich auch die Freiheit der Meinung einschränkt. Da werden Leben und Werk von Künstlern oder einer Künstlerin gleichgeschaltet, die künstlerische Leistung zunehmend nach moralisch-ethischen Kriterien oder gar nach dessen oder deren moralischer Integrität beurteilt. Demgegenüber schrieb Oskar Wilde: „Es gibt kein moralisches oder unmoralisches Buch. Bücher sind gut geschrieben oder schlecht geschrieben. Das ist alles.“ In seinem Aufsatz „Der Verfall des Lügens“ trennt er rigide Kunst und Moral und proklamiert die Überlegenheit der Kunst über das Leben, der Fiktion über Fakten und der Fantasie über die Vernunft: „Das Ziel der Kunst ist nicht die banale Wahrheit, sondern eine komplexe Schönheit.“
Für die Kunst gelten die Kriterien der Kunst, für das Leben, die der Moral und des Strafrechts.
Gerald Matt
Wilde erklärt, alle Kunst ist „ganz und gar nutzlos“, was nichts anderes heißt, dass sie nicht für Ausserkünstlerisches instrumentalisiert werden darf, auch nicht für die vermeintlich „gute Sache“ und gerade diese Unabhängigkeit ist es, die so wertvoll macht. Gleichzeitig setzt Wilde der Kunst dort Grenzen, wo Realität und das Leben dominieren: „Es ist angemessen, wenn Handeln Begrenzungen unterliegt. Es ist unangemessen, wenn Kunst Begrenzungen unterliegt.“
Arnulf Rainer erklärte mir vor vielen Jahren anlässlich eines Abendessens in der liljewalchs Konsthall als strafrechtliche Ermittlungen gegen Otto Mühl eingeleitet wurden: „Hier ist die Kunst und da ist das Kriminal und dazwischen ist nichts.“
Und es sind die Fälle von Mühl und Teichtmeister, die die Haltung Oskar Wildes und Arnulf Rainers Verdikt bestätigen, hier die Kunst und dort das Kriminal.
Denn wer mit seiner Kunst die Trennung der beiden Sphären Kunst und Moral oder gar Gesetz aufhebt und wie Mühl in seiner totalitären Kommune, eine Einheit von (schlechter) Kunst und Leben schafft und dabei das Strafrecht verletzt. Oder wie Florian Teichtmeister als Schauspieler auf Bühne oder im Film Kindern nahe kommen könnte, der muss sich auch den rechtlichen und gesellschaftlichen Konsequenzen stellen. Das verbietet aber nicht, einen Film, indem Teichtmeister Kaiser Franz Josef verkörpert oder ein frühes vor seiner kriminellen Kommunenzeit entstandenes Gemälde von Mühl in einer Ausstellung zu zeigen. Für die Kunst gelten die Kriterien der Kunst, für das Leben, die der Moral und des Strafrechts. Oskar Wilde wusste, wohin die unzulässige Vermischung der Sphären von Kunst und Leben führen würde.
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