Titanische Klangwelten

Anton Bruckners monumentale 8. Sinfonie in der Kathedrale von St. Gallen.
St. Gallen Es gibt Werke, für die ein regulärer Konzertsaal kaum ausreicht – Werke, die nach Weite und Resonanzraum verlangen, nicht aus akustischen Gründen, sondern aus innerer Logik heraus. Dazu zählt Anton Bruckners 8. Sinfonie in c-Moll. Dass sie im Rahmen der St. Galler Festspiele in der barocken Kathedrale aufgeführt wurde, erwies sich als stimmige Entscheidung. Modestas Pitrėnas leitete das Sinfonieorchester St. Gallen durch einen Abend, der von hoher Konzentration und Maßgefühl geprägt war.

Kaum hatte sich das verhaltene Anfangsmotiv aus den tiefen Streichern gelöst, wurde deutlich: Hier geht es nicht um bloße Monumentalität. Pitrėnas ließ das Werk atmen, ohne in theatralische Gesten zu verfallen. Er formte Spannungsbögen mit Gespür für Architektur und Proportion. Auf eine vordergründige Dramatisierung verzichtete er ebenso wie auf klangliche Glättung. Das Orchester agierte geschlossen, ohne sich in Effekten zu verlieren – ein Klangbild, das sich an Bruckners symphonischer Tektonik orientierte.
Die barocke Kathedrale wirkte dabei weniger als imposante Kulisse, sondern vielmehr als akustischer Verstärker jener kontemplativen Haltung, die das gesamte Werk durchzieht. Der Raum unterstützte nicht nur den Hall, sondern betonte zugleich den Wechsel zwischen Konzentration und Weite.
Bruckner war 66 Jahre alt, als er im Jahr 1890 die endgültige Fassung seiner 8. Sinfonie abschloss. Persönlich angeschlagen, aber mit einer reifen Ausdrucksweise ausgestattet, schuf er hier seine weiteste, komplexeste und zugleich geschlossenste Sinfonie. Der erste Satz entwickelt sich langsam in aufeinander geschichteten Klangschichten, die sich zu einem weiten Klangraum auffalten – kraftvoll, aber nicht schwer. Dem setzt das Scherzo eine kantige Rhythmik entgegen – schroff, getrieben, aber stets unter Kontrolle. Das Sinfonieorchester St. Gallen gestaltete diese Bewegung präzise und mit jener kontrollierten Energie, die der Satz verlangt.

Im Adagio ließ sich Pitrėnas Zeit – mit kluger Absicht. Hier liegt der Kern der Sinfonie. Die Harfen, die Bruckner lange als ungeeignet für die Gattung angesehen hatte („A Harf’n g’hert in ka Sinfonie…”), fügten sich unaufdringlich ein und gaben den harmonischen Schwebezuständen ein konturiertes Fundament. Im Finale versammelt Bruckner motivisches Material aus den vorangegangenen Sätzen und führt es zu einem Höhepunkt, ohne in pathetisches Pathos zu verfallen. Pitrėnas vermied übertriebene Dynamiksteigerungen und setzte stattdessen auf thematische Klarheit. Das Orchester folgte ihm dabei mit hoher Disziplin. Die zahlreichen motivischen Rückverweise wurden nicht als Rückschau, sondern als kompositorische Verdichtung hörbar.
Aufgrund Ihrer Datenschutzeinstellungen wird an dieser Stelle kein Inhalt von Youtube angezeigt.
Was Bruckners Achte so einzigartig macht, ist der Widerspruch, den sie in sich trägt: die Mischung aus demütigem Gottvertrauen und künstlerischer Hybris. Hier schreibt ein tiefgläubiger Mensch ein Werk von titanischer Kraft – ein einfacher Kirchenorganist, der in seiner Musik das Absolute sucht. Es ist daher kein Wunder, dass Gustav Mahler später sagte, man müsse nach Bruckners Achter erst einmal schweigen. Und das Publikum in St. Gallen hielt sich daran – bis es schließlich in lang anhaltenden Beifall und Standing Ovations ausbrach.