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Die Morgenländer: Jüdische Forscher und Abenteurer auf der Suche nach dem Eigenen im Fremden.
Hohenems Wenn am 16. November um 11 Uhr im Jüdischen Museum in Hohenems die Ausstellung “Die Morgenländer” eröffnet wird, beginnt für die Besucher eine Reise in eine Epoche, in der Europa begann, den Orient neu zu sehen und jüdische Gelehrte eine ebenso einfache wie weitreichende Frage stellten: Wie lässt sich die eigene Herkunft denken, wenn man sie nicht länger durch das Prisma einer christlich geprägten Umwelt betrachtet, sondern im Spiegel einer Welt, die über Jahrhunderte mit ihr verbunden war? Bis zum 4. Oktober 2026 lädt die Schau dazu ein, diese komplexe Beziehung zu erkunden, eine Beziehung, die in ihren Spannungen und Widersprüchen bemerkenswert gegenwärtig wirkt.

Im Zentrum steht die Entstehung der Orientwissenschaften im 19. Jahrhundert. Damals begannen jüdische Intellektuelle, das Judentum nicht mehr als statisches Erbe, sondern als etwas Gewordenes und Veränderbares zu begreifen. Die Wissenschaft des Judentums öffnete einen neuen Zugang zu Sprachen, Religionen und historischen Räumen des Nahen Ostens. Damit entstand eine selbstbestimmte Forschungsperspektive, die geprägt war von kritischem Interesse und von dem Wunsch, sich aus überkommenen Zuschreibungen zu lösen. Die Ausstellung zeigt, wie eng dieser Aufbruch mit der Entwicklung ganzer Disziplinen verbunden war: von der Semitistik über Arabistik und Islamwissenschaft bis zur Archäologie und Ägyptologie.

Der erste Raum widmet sich jenen Forscherinnen und Forschern, die diese Bewegung begründet haben. Ihre Biografien sind geprägt von Reformimpulsen, intellektueller Eigenständigkeit und einer Haltung, die sich gegen die Vorstellung des Orients als kulturelles Gegenbild wendet. Abraham Geiger steht hier exemplarisch für eine Generation, die den Islam nicht als Fremde betrachtete, sondern als Teil eines gemeinsamen geistesgeschichtlichen Raums. Seine Dissertation von 1833, mit der er den Koran erstmals systematisch im jüdischen Kontext untersuchte, markiert den Beginn einer Annäherung, die bis heute Konventionen infrage stellt.

Im großen Saal wechselt die Perspektive: Expeditionen, Grabungen und koloniale Unternehmungen geraten in den Blick, an denen jüdische Forscher beteiligt waren. Viele ihrer Funde gingen in die europäischen Museumssammlungen ein. Die Inszenierung des Raums bringt die Ambivalenz dieses Kapitels zur Geltung: Zwischen wissenschaftlicher Neugier, ästhetischer Faszination und dem Streben nach kultureller Teilhabe offenbaren sich auch Spannungen. Die Ausstellung zeigt, wie jüdische Wissenschaftler, selbst in Europa marginalisiert, zu Vermittlern orientalischer Kultur wurden und durch ihre Arbeit eine neue Autorität gewannen.

Ein Exkurs ist den jüdischen Reisenden des 19. Jahrhunderts gewidmet. Sie porträtierten Gemeinden und Kulturen, die sie mit eigenen Maßstäben zu erfassen suchten und zugleich stets ein Stück weit verfehlten. Fotografien und Aufzeichnungen aus dieser Zeit zeigen nicht nur die Neugier, sondern auch die blinden Flecken eines durch europäische Vorstellungen geprägten Blicks. Die Ausstellung fragt nach den Motiven dieser Begegnungen und danach, was diese Bilder über die Betrachtenden selbst erzählen.

Ein tiefer Einschnitt folgt mit dem Ersten Weltkrieg. Die politischen Erschütterungen dieser Zeit unterbrachen die wissenschaftliche Blüte abrupt. In den 1930er Jahren wurden jüdische Gelehrte systematisch von den Universitäten ausgeschlossen. Die Ausstellung erinnert an gefährdete Existenzen und an eine Wissenskultur, die in Europa zerstört wurde. Zwar konnten einzelne Forschungen in Israel, England oder den USA fortgeführt werden, die kreative Spannung und die produktive Nähe, die das 19. Jahrhundert geprägt hatten, gingen jedoch verloren.

Die Morgenländer endet nicht mit einer Konklusion, sondern mit einer Einladung: Die Geschichte jüdischer Orientforschung ist offen. Sie wartet darauf, gelesen, hinterfragt und neu erzählt zu werden.