Am Ende der Schlange
Da steht man wohl in Corona-Zeiten öfter als sonst. Wenn man Glück hat, plaudert man sich mit interessanten Menschen vor bis zum Kopf und ist fast zu schnell dort; wenn nicht, kann man, anstatt ungeduldig zu werden oder sich gar vorzuschlängeln, über die Schlange nachdenken. Sie ist ein Kaltblütler und dem Menschen fremd. In erster Linie ist sie ein Angstsymbol, taucht unvermittelt und gefährlich auf; man denkt an ihr Gift. Negativ drückt sie dunkle Weiblichkeit, Falschheit und List aus. Andererseits ist sie in ihrer Rundung aber auch ein Vollkommenheits- und Wandlungssymbol, steht für geheimes Wissen, Weisheit und Wiedergeburt. Rund um den Globus soll es an die hundert verschiedene Interpretationsmöglichkeiten geben. Schlangen kommen aus dem Inneren der Erde als Heilsquelle, zwei Schlangen umwinden den Äskulapstab. Im Schlafsaal des Asklepios-Heiligtums krochen Schlangen am Boden umher, die Heilungsträume wecken sollten. In frühen christlichen Jahrhunderten verwies die geheimnisvolle Schlange auch auf das dunkle Wesen Gottes, auf das Unbekannte und Unbewusste. Passt die Schlange auch zu Corona? Auf die Angst vor dem plötzlich auftauchenden Unbekannten, auf den zielgerichteten Angriff einer uns fremden Existenz, auf unseren Kampf gegen einen „Mini-Drachen“, auf die Hoffnung, Lösung und Erlösung zu finden?
Mag. Dr. Hildegard Pfanner, Bregenz