Martin Buber – Der Entdecker des Du

Die Faschingsfrage. Wir alle kennen die Situation von Faschingsfeiern: Im bunten Treiben der Maskierten begegnet man jemandem und weiß nicht, mit wem man es zu tun hat. Und so stellt man die einfache Frage: „Wer bist du?“ Die Lebenserfahrung zeigt uns, dass wir nach dem Du des anderen aber nicht nur im Fasching fragen. Wer der / die andere ist und was er / sie für mich bedeutet, beschäftigt uns das ganze Jahr. In diesem Sinn wird die Faschingsfrage zu einer Lebensfrage. Mit ihrer Beantwortung hat sich der österreichische Philosoph Martin Buber (geb. 1878 in Wien, gest. 1965 in Jerusalem) zeitlebens beschäftigt und darauf in der Bibel eine Antwort gefunden. Er hat auf die Faschingsfrage eine Lebensantwort gegeben.
Das Prinzip der Bibel. Martin Buber entstammte dem liberalen Judentum und hatte zeitlebens einen ganzheitlichen Zugang zur Heiligen Schrift. Von Jesus sagt er, er habe ihn „von Jugend auf als meinen großen Bruder empfunden“. Seine intensive Beschäftigung mit der Bibel führte ihn zu einer ebenso tiefen wie schlichten Einsicht. Was die Bibel vermitteln will, ist nicht so sehr eine Theorie oder eine Sammlung von Vorschriften, sondern ein Lebensprinzip: das Prinzip der Begegnung. Jeder Mensch findet erst zu sich selbst, wenn er dem anderen, dem Du (wie Buber es nennt), begegnet. Ob das Leben gelingt, steht nicht in den Sternen und in keiner abstrakten Lehre, sondern hängt von der geglückten Begegnung ab. Im Du des Mitmenschen und im Du Gottes findet der Mensch sein Gegenüber, das ihm den Weg durchs Leben weist. „In jedermann ist etwas Kostbares, das in keinem anderen ist.“ Und: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ So fasst er seine Einsicht zusammen. Die Bibel ist für ihn eine Serie von Begegnungen zwischen Menschen und mit Gott, denen wir immer wieder Antworten auf die Fragen des Lebens entnehmen können. Ob es nun darum geht, Lebensentscheidungen zu treffen oder das alltägliche Miteinander zu gestalten: Immer ist es unser Gegenüber in Mensch und Gott, mit dessen Hilfe wir die Richtung für den nächsten Schritt auf dem Lebensweg finden können.
Der verkleidete Gott. Nur gemeinsam kann das Leben gelingen: So könnte man Bubers Einsicht zusammenfassen. Wir alle kennen Situationen im Alltag, in denen wir für verständnisvollen Rat oder ein offenes Ohr dankbar sind. Zugleich zeigt uns die Bibel, dass Gott dem Menschen entgegenkommt. Gerade im Fasching könnte man davon sprechen, dass er sich dabei immer wieder „verkleidet“. Abraham begegnet er in der Gestalt von drei Besuchern (Gen 18,1-33), dann wieder spricht er aus einer Wolke (z.B. Mt 17,1-9). In Jesus hat er für immer Menschengestalt angenommen und schließlich wird er sich in der Eucharistie verbergen, um bei den Menschen zu bleiben. Nicht zuletzt kann auch die Begegnung mit dem Mitmenschen zur Gottesbegegnung werden. So lädt Martin Buber ein, immer wieder auf die Entdeckungsreise der Begegnung zu gehen.
Es ist unser Gegenüber, das uns zu einem erfüllten Leben verhilft, und auch wir dürfen so zu Helfern und Helferinnen werden. Auf diese Weise bekommt das Leben täglich einen neuen Horizont. „Jeder Morgen ist eine neue Berufung“, so fasst es Buber zusammen. Und gerade in den ersten Wochen des Jahres mag uns seine biblische Botschaft eine Bereicherung sein, nicht nur in der Faschingszeit das Du immer neu zu entdecken.
