Wohin sollen wir gehen?
Erfolg ist die Mutter des Versagens, wenn sich Bequemlichkeit, Trägheit und Sorglosigkeit einschleichen, Selbstzufriedenheit oder gar Selbstgefälligkeit breitmachen.
Bis vor Kurzem war die 70-jährige Geschichte der 2. Republik eine Erfolgsstory. Vor wenigen Jahren hieß es noch, wir wären wirtschaftlich sogar die besseren Deutschen. Inzwischen lässt uns Deutschland zunehmend zurück. Ebenso die Schweiz oder Schweden. Mit kräftigerem Wachstum, geringerer Arbeitslosigkeit, größerer Wettbewerbsfähigkeit und Innovationsdynamik sowie gesunden Staatsfinanzen trotz geringerer Steuerbelastung und niedriger Staatsverschuldung.
Wir sind von der Überholspur auf die Kriechspur zurückgefallen und drohen am Pannenstreifen zu landen. Unser Wachstum ist anämisch, die Arbeitslosigkeit steigt rasant, die Wettbewerbsfähigkeit verschlechtert sich, auch weil uns die Arbeitskosten und Lohnstückkosten davonlaufen. Wir sind überreguliert und überbürokratisiert. Die öffentlichen Finanzen befinden sich seit Jahren in zunehmender Schieflage, obwohl die Steuerbelastung Rekordhöhen erreicht. Trotzdem fehlen für öffentliche Investitionen und Zukunftsaufgaben, also für Bildung, Wissenschaft und Forschung die nötigen Mittel. Und die Staatsverschuldung nimmt weiter zu.
Wir geben die Steuereinnahmen für Konsumzwecke, überhöhte Subventionen, die Finanzierung der hohen Pensionslasten durch überdurchschnittlich hohe Frühpensionierungen bei gleichzeitig zunehmender Lebenserwartung und für soziale Transferleistungen bei immer geringerer Treffsicherheit aus. Trotz einer Sozialquote von 30 Prozent (!) der Wirtschaftsleistung müssen wir steigende Armutsgefährdung und – besonders schmerzlich – zunehmend Kinderarmut beklagen. Die großzügigen Familienförderungen greifen nicht wie vorgesehen. Die jährliche Geburtenzahl ist auf inzwischen 80.000 gesunken. Das bestehende Pensionssystem droht zu kippen, eine Reform wird dennoch blockiert. Dasselbe gilt für ein zeitgemäßes Bildungssystem und eine effiziente öffentliche Verwaltung. Offenbar muss es noch wesentlich schlechter werden, ehe sich etwas zum Besseren ändern kann. Sarkastischer Optimismus ist zum 70. Geburtstag der so lange Zeit erfolgreichen Zweiten Republik leider keine erfreuliche Perspektive.
Wir sind von der Überholspur auf die Kriechspur zurückgefallen.
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Dr. Hannes Androsch ist Finanzminister i. R. und Unternehmer.
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