35-Stunden-Woche zwischen Wunschziel und Wirklichkeit

Markt / 15.06.2015 • 22:19 Uhr
Vorarlbergs Gewerkschafter Bernhard Heinzle.  
Vorarlbergs Gewerkschafter Bernhard Heinzle.  

Gewerkschaft fordert Arbeitszeitverkürzung. Industrie sieht Arbeitsplatzgefährdung.

Schwarzach. Wer kürzer arbeitet, lebt leichter, sagt die österreichische Gewerkschaft GPA-djp und fordert deshalb die 35-Stunden-Woche. Sie sieht es als Rezept gegen die Rekordarbeitslosigkeit, denn während die Arbeitslosigkeit zunimmt, gebe es zeitgleich auch immer mehr Beschäftigte, die zu lange arbeiten. Verkürzt man nun die Normalarbeitszeit auf 35 Stunden pro Woche sowie die gesetzliche Arbeitszeit auf 38,5 Stunden bei vollem Ausgleich des Lohns bzw. Gehalts, könne man der Entwicklung gegensteuern. Als Positivbeispiel in Sachen Arbeitszeitverkürzung wird immer wieder gerne Frankreich angeführt, wo die Reduktion auf 35 Stunden pro Woche 350.000 Jobs geschaffen hat, wenngleich auch das Doppelte erwartet wurde.

Die Gewerkschaft hat zur Arbeitszeitverkürzung eine Befragung gestartet. 66 Prozent der Befragten gaben an, für eine Arbeitszeitverkürzung auf 35 Stunden bei gleichbleibendem Gehalt zu sein. Dabei begrüßen das einfache Angestellte deutlich mehr als leitende Angestellte. Naturgemäß anders sieht es aus, wenn mit der Arbeitszeit auch das Gehalt im selben Ausmaß sinken würde. Dann sind nur noch 23 Prozent der Befragten dafür.

Seit 40 Jahren Stillstand

Derzeit beträgt die gesetzliche Arbeitszeit 40 Stunden pro Woche. Diese Regelung wurde 1975 eingeführt. „Seit 40 Jahren ist nichts passiert“, merkt der Vorarlberger GPA-djp-Chef Bernhard Heinzle im VN-Gespräch an. In vielen Kollektivverträgen liegt die Arbeitszeit darunter, meist bei 38,5 Stunden. Dennoch betrage die durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Österreich 42 Stunden. Damit gehöre Österreich zu den Ländern mit den längsten Arbeitszeiten in Europa.

Bei den Wirtschaftsvertretern stößt der Vorschlag nicht auf Gegenliebe. „Und täglich grüßt das Murmeltier. Einige Kräfte innerhalb der Gewerkschaft wollen oder können nicht kapieren, dass Arbeit und Arbeitsprozesse nicht beliebig verteilt werden können“, sagt Mathias Burtscher, Geschäftsführer der Vorarlberger Industriellenvereinigung. Er frage sich, ob die Gewerkschaft wirklich im Sinne ihrer Mitglieder unterwegs ist. Denn eine Arbeitszeitverkürzung bei gleichem Gehalt bedeute nichts anderes als Arbeit zu verteuern und gefährde heimische Arbeitsplätze.

Probleme mit Überstunden

Für Bernhard Heinzle geht es beim Thema darum, dass die Menschen länger gesund und leistungsfähig bleiben. Man wolle ja auch, dass sie länger berufstätig bleiben. Auch in Sachen Überstunden ortet der Gewerkschafter Probleme im beruflichen Alltag. „Viele loggen sich aus, um dann weiterzuarbeiten. Tausende Überstunden werden jährlich nicht bezahlt, All-in-Verträge gibt es schon längst nicht mehr nur für Führungskräfte. Und von vielen, die eine Überstundenpauschale von zehn Stunden haben, wird auch erwartet, dass sie diese machen, ob notwendig oder nicht“, erzählt er aus der Praxis. Überstunden müssen also reduziert werden. Von einem Überstunden-Euro, der Betriebe bestraft, hält der Gewerkschafter im Vergleich zu Kollegen allerdings nichts. Man wolle Überstunden ja nicht generell verbieten, denn Betriebe brauchen sie auch, um Spitzen abzudecken. Aber es sei derzeit eben nicht die Ausnahme, sondern die Masse der Beschäftigten, die Überstunden leiste.

Faktor Arbeit entlasten

Die 35-Stunden-Woche ist für Heinzle auch eine Antwort auf den gesellschaftlichen Wandel. Stand früher das Gehalt an vorderster Stelle, lege die jüngere Generation heute viel mehr Wert auf die Work-Life-Balance, also den bestmöglichen Einklang zwischen Arbeits- und Privatleben. Er ist davon überzeugt, dass es auch der Volkswirtschaft nützen würde. Wenngleich er feststellt, dass man im Gegenzug auch den Faktor Arbeit entlasten muss. Schließlich brauchen die Unternehmen dann mehr Beschäftigte, um die Arbeit abzudecken. „Zum Glück haben wir es in Vorarlberg mit vernünftigeren Arbeitnehmervertretungen zu tun als in Wien“, sagt Mathias Burtscher. Das Gebot der Stunde in wirtschaftlich herausfordernden Zeiten wäre es nämlich seiner Ansicht nach, die Lohnnebenkosten zu senken. „Dazu muss man die bestehende Arbeitszeit flexibler auf Betriebsebene regeln, um Arbeitsspitzen und Arbeitsflauten abdecken zu können.“ Diese Flexibilisierung ist allerdings schon lange ein Streitthema zwischen Gewerkschaft und Arbeitnehmervertretern. Der geplante Arbeitsmarktgipfel dürfte also spannend werden.

IV-Geschäftsführer Mathias Burtscher.
IV-Geschäftsführer Mathias Burtscher.