Andreas Scalet

Kommentar

Andreas Scalet

Selbstbestimmt statt gegängelt

Markt / 20.04.2016 • 22:17 Uhr

Jedes Jahr wirft jeder Vorarlberger rund elf Kilo Lebensmittel in den Müll, insgesamt sind es rund 5000 Tonnen. Warum? Nicht weil sie den Vorarlbergern nicht mehr schmecken, sondern weil sie oft das Mindesthaltbarkeitsdatum oder das Letztverkaufsdatum erreicht haben. Sie glauben den Angaben, die auf Verpackungen gedruckt wurden, weil sie lange genug darauf trainiert wurden. Jetzt sind sie verwirrt, denn nun fordern Umweltverbände, Ministerien und Vereine dazu auf, das Datum zu ignorieren und selbst zu entscheiden, wie lange Lebensmittel genossen werden können. Sie stellen infrage, was Verbraucherschützer in oft jahrelangem Kampf den Produzenten abgetrotzt haben. Haben sie etwa zu viel des Guten getan? Verhindert die Reglementierungswut, dass Menschen eigenständig Entscheidungen treffen, dass sie ihren Hausverstand einsetzen?

Konsumentenrechte gehören wahrgenommen, genauso wie das Arbeitsrecht oder die Vorschriften für unternehmerisches Tun. Aber wo hören Bevormundung und Gängelung auf, und wo fängt die Eigenverantwortung an? Einen Gouvernantenstaat kann keiner wollen, nicht wenn alle darauf pochen, dass Menschen selbstbestimmt ihren Weg gehen sollen, wenn darauf gepocht wird, dass persönliche Verantwortung wahrgenommen wird, und wenn eines der Ziele unserer Gesellschaft ist, dass jeder nach seiner Fasson glücklich wird.

Die Entmündigung passiert schleichend, wie die Diskussion um die Mindesthaltbarkeit von Lebensmitteln zeigt. So lange ist es nämlich nicht her, da wussten die meisten von uns ohne aufgedrucktes Datum, ob ein Lebensmittel noch in Ordnung ist oder nicht. Und ein Arbeiternehmer wusste, worauf bei den diversen Arbeitsschritten zu achten ist, ohne dass einer der vielen „Beauftragten“ ihm physisch zur Seite stand.

Vielleicht ist es ein erster Schritt in Richtung Selbst, wenn nun wir Bürger gefordert sind, statt „abgelaufene“ Lebensmittel wegzuwerfen zu entscheiden, ob sie noch genießbar sind. Ein zweiter Schritt wäre es, wenn wir etwa ohne Aufdrucke auf Tabak- und Alkoholwaren darüber befinden können, ob wir sie dennoch konsumieren wollen oder nicht. Und vielleicht gibt es bald auch eine Initiative, die uns auffordert, selbst darüber zu entscheiden, ob etwa eine Unternehmensgründung unserem Wohlbefinden und unserer Zukunft zuträglich ist und ob wir, wenn es notwendig ist, auch manchmal länger arbeiten als das Regelwerk vorsieht. Eine Initiative eben, die dem gesunden Hausverstand wieder Platz einräumt. Denn meistens weiß der ganz genau, was gut für uns ist.

Wo hört denn die Bevormundung auf, und wo fängt die Eigenverantwortung an?

andreas.scalet@vorarlbergernachrichten.at, 05572/501-862