“Kein Nachteil durch die Ebbe”
Ernst Fehr ist der
wichtigste Ökonom im ganzen deutschsprachigen Raum.
Schwarzach, Zürich. Der Hörbranzer Ernst Fehr wurde im Ökonomenranking in Deutschland, der Schweiz und Österreich zum einflussreichsten Wirtschaftsforscher gewählt, nachdem der Professor für Mikroökonomik und Experimentelle Wirtschaftsforschung an der Universität Zürich, 2015 Rang zwei belegte. Die Hitparade der Ökonomen wurde im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Zeitung, der Neuen Zürcher Zeitung und der Presse durchgeführt und wird heute veröffentlicht. Bewertet werden der Einfluss in Wissenschaft, Politik und Medien. Fehr ist, so der deutsche Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap über den Vorarlberger, „ein brillanter Wissenschaftler und daher sehr einflussreich“. Der Volkswirt gehört zu den wichtigsten Vertretern der Verhaltensökonomie, ihm werden derzeit als einzigem Österreicher Chancen auf den Nobelpreis eingeräumt.
Herr Fehr, herzlichen Glückwunsch! Wie fühlen Sie sich – und: was nützt diese Platzierung?
Fehr: Zunächst ist es ein gutes Gefühl, es freut einen, wenn anerkannt wird, was man gemacht hat. Ich kriege viel mehr Einladungen zu Vorträgen, es gibt auch mehr Forschungsmöglichkeiten.
Sind die Ergebnisse Ihrer Forschung nicht dazu geeignet, Menschen zu manipulieren?
Fehr: Es gibt natürlich in der Privatwirtschaft schon jahrzehntelang Leute, die verstanden haben, wie die Menschen ticken. Dieses Wissen ist verstreut, nicht systematisch, nicht wissenschaftlich belegt. Natürlich geschieht damit viel Manipulation. Denken Sie an die Werbeindustrie. Wenn ich im Internet etwas kaufen will, dann wird meine IP-Adresse registriert und der Preis steigt. Da wird extrem viel hinter dem Rücken der Leute manipuliert. Es muss aber nicht sein, dass wir unser Wissen so einsetzen. Ein Beispiel aus der Medizin. Viele Leute vergessen, ihre Medikamente einzunehmen, es gibt aber eine Lösung: einen kleinen Wecker auf der Pillenpackung, der immer läutet, wenn man das Medikament nehmen sollte. Das hat nichts mit Manipulation zu tun, das hat mit Einblick in die eigene Vergesslichkeit zu tun.
Werden wir also immer mehr wie bei Geschwindigkeits-Messtafeln mit Smileys & Co. belohnt?
Fehr: Ich glaube schon. Solche Smileys sind – in die Wissenschaft übersetzt – emotionale Belohnungen. Was die Verhaltensökonomie zeigt, ist, dass das Arsenal an verhaltenssteuernden Einflüssen viel viel größer ist.
Sie belegen mit Ihrer Forschung, dass Menschen ein großes Bedürfnis nach Fairness haben. Der Eindruck ist ein anderer, es herrscht Gier und Egoismus. Woher kommt diese Diskrepanz?
Fehr: Wenn der Wettbewerb sehr stark ist und man eigentlich keine persönliche Beziehung mehr hat zum Tauschpartner, dann verhalten sich die meisten komplett eigennützig. Das kontrastiert damit, dass dieselben Leute in anderen Situationen sich sehr fairnessorientiert verhalten. Was ich gezeigt habe, ist, dass es vom institutionellen Umfeld abhängt, ob man sich fair verhält. Am Aktienmarkt gibt es nicht wahnsinnig viel Spielraum, um sich für Fairness einzusetzen. Hingegen im Arbeitsprozess ist es extrem wichtig, ob die Menschen kooperativ sind und loyal zur Firma stehen.
Managergehälter werden stark kritisiert. Sie fordern neben einer Vergütungs- auch eine Leistungstransparenz und haben einen Indikator dafür entwickelt…
Fehr: Die Gehaltstransparenz gibt es ja teilweise. Die Vergütungstransparenz allein führt aber eher zu einer Aufwärtsspirale, weil sich die Leute plötzlich vergleichen mit Menschen, die mehr verdienen als sie. Leistungstransparenz heißt, dass die Öffentlichkeit nachvollziehen kann, wie so ein Gehalt zustande kommt. Wenn ein Top-Manager zehn Millionen Euro bekommt, dann ist das für Außenstehende unmöglich nachzuvollziehen, weil es keine öffentlich nachvollziehbaren Performancekritierien gibt. Das ist ein großer Mangel, auch weil es viele Einflüsse vom Gesamtmarkt gibt. Es gibt da dieses Bild von der Flut. Warum soll ich das Management besser bezahlen, weil es eine Flut gibt. Genauso wenig soll das Management bestraft werden wegen der Ebbe, wenn makroökonomische Effekte dazu führen, dass alle Aktien sinken. In Vorarlberg wird unser Leistungsindikator von der Firma Zumtobel angewandt.
Zur österreichischen Innenpolitik. Sie haben bei Alexander Van der Bellen studiert, nun sind Sie auch in seinem Unterstützungskomitee. Was spricht aus Ihrer Sicht für ihn?
Fehr: Ich habe ihn als Chef und immer als ruhigen, vernünftigen Menschen erlebt, der sehr menschlich mit seinen Mitarbeitern umgegangen ist, aber auch Gutes für Österreich tun wollte. Ich glaube, dass er gerade in der jetzigen Zeit, wo es viele Kräfte gibt, die die Weltoffenheit Österreichs beschädigen, für Offenheit und Vernunft steht.
Werden sich Menschen im Vergleich zum letzten Wahlgang umstimmen lassen?
Fehr: Wir werden am Wahlabend sehen, dass es auch Wechsel gibt. Jeder Kandidat tut gut daran, die Wähler, die ihn im letzten Wahlgang gewählt haben, bei der Stange zu halten und gleichzeitig neue Wählerschichten zu erschließen. Ich halte die Entscheidung zur Wahlwiederholung aber für einen großen Fehler. Der Statistiker Erich Neuwirth hat nachgewiesen, dass die Dinge, die nicht ganz richtig abgelaufen sind, keinen Einfluss auf das Ergebnis haben. Der Schluss des Verfassungsgerichtshofes, dass es deshalb zu einem anderen Ergebnis kommt, ist völlig hanebüchern und falsch. Man hätte gut daran getan, Statistiker zurate zu ziehen und nicht Milchmädchenrechnungen anzustellen.
Die Menschen sind mit der Politik sehr unzufrieden. Ist das der Grund dafür, dass immer mehr Menschen zu populistischen Parteien tendieren?
Fehr: Ja, das ist ein Grundfehler. Natürlich gibt es in jedem Bündnis zentrifugale Kräfte, aber wenn es eine starke Führung gibt, dann wäre es für die rot-schwarze Regierung absoluter Eigennutz, zu verhindern, dass in der Öffentlichkeit der Eindruck von Streit entsteht. Die einzelnen Parteien haben einen Anreiz, sich auf Kosten der anderen Partei zu profilieren – wenn das beide machen, schaden sie sich.
Zum Schluss: Sind Sie mehr Vorarlberger oder mehr Schweizer?
Fehr: Ich bin immer noch Vorarlberger, aber die Schweizer und die Vorarlberger Mentalität sind ja nicht weit auseinander.
Wichtigste Ökonomen
» Österreich (mehr als 30 im Ranking)
1. Ernst Fehr: Gesamt: 539 Punkte
2. Karl Aiginger: 417
3. Bernhard Felderer: 358
» Schweiz (mehr als 40 im Ranking)
1. Ernst Fehr: Gesamt: 613
2. Reiner Eichenberger 509
3. Jan-Egbert Sturm 358
» Deutschland: (Mehr als 60)
1. Ernst Fehr: 525
2. Hans-Werner Sinn: 496
3. Clemens Fuest: 472