Überhitzungsgefahr

Vorarlbergs Baubranche hat volle Auftragsbücher, warnt aber auch.
Hohenems „Wohnen ist nicht mehr leistbar“ – ein Satz, der mittlerweile immer und überall genannt wird. Und der durchaus seine Berechtigung hat. Wohnen ist teuer, das stimmt. Grundstückspreise und Baukosten ziehen seit Jahren an. Aber konnten sich die Menschen vor 40 Jahren Wohnraum leichter leisten als heute? Mit Zahlen belegen lässt sich das nicht. Die Sprecher der Vorarlberger Bauinnung sehen aber Veränderungen in der Gesellschaft. Auch vor 40 Jahren habe man sich ein Eigenheim genauso leisten müssen, was man oft nur durch Hilfe von Freunden und Verwandten stemmen konnte. „Günstig war der Bau eines Hauses im Verhältnis zum Einkommen noch nie. Das war immer ein anstrengendes Großprojekt“, ist sich Innungsmeister Peter Keckeis sicher. Nur damals war die Eigenleistung der Bauherren deutlich höher, während man heute am liebsten schlüsselfertig einziehe. Und die Ansprüche an Komfort seien deutlich gestiegen. Zu viert auf 60 Quadratmetern war gestern.
Volle Auftragsbücher
Gebaut wird trotz gestiegener Preise immer noch kräftig. Die Auftragsbücher der Bauwirtschaft in Vorarlberg sind dementsprechend voll. Das zeigt die aktuelle Blitzumfrage unter den Betrieben. Somit hat sich auch heuer der positive Trend fortgesetzt, und die Aussichten auf das kommende Jahr sind ebenfalls sehr gut. „Im Frühjahr gibt es nur noch wenige freie Kapazitäten“, sagt Innungsmeister Keckeis. Gerade der Bedarf an Wohnungen sei nach wie vor hoch. Allein im gemeinnützigen Wohnbau werde derzeit mit 660 Wohnungen doppelt so viel gebaut wie in früheren Jahren. Im ersten Halbjahr 2018 rechnet die Branche insgesamt mit einem Plus von 2,7 Prozent. Einen minimalen Rückgang soll es im Industrie- und Gewerbebau geben. Allerdings befinde man sich auf einem sehr hohen Niveau, so Innungsmeister-Stellvertreter Alexander Stroppa (Hilti & Jehle). „Wir wissen, dass 2018 zahlreiche Industrieunternehmen große Bauprojekte planen.“ Rückläufig sind die Auftragserwartungen im öffentlichen Hochbau sowie im öffentlichen Tiefbau. Hier liege die Hoffnung auf Straßenbauprojekten, so Stroppa. Viele würden nur schleppend zur Umsetzung kommen.
Hoffnung hat die Branche auch in Sachen Raumplanung. „Viele Gemeinden möchten nur flache Bauten. Das steigert den Bodenverbrauch massiv. Die Entscheidung darüber darf nicht nur bei den einzelnen Kommunen liegen. Man muss hier die Baunutzungszahl überdenken“, so Immobiliensprecher Günther Ammann.
Tempo herausnehmen
Trotz Bauboom ist aber nicht alles eitel Wonne. Denn die Branche warnt auch vor Überhitzungserscheinungen am Markt. „Aktuell wird mehr gebaut denn je – vor allem im sozialen Wohnbau“, sagt Ammann. Diese Dynamik heize die Konjunktur zusätzlich stark an und treibe auch die Preise nach oben. „Wir müssen hier wieder Tempo herausnehmen und den Bedarf genau analysieren, andernfalls laufen wir Gefahr, am Bedarf vorbeizubauen.“ Eine Branche, die vor viel Arbeit warnt? Man müsse hier auch an die Zukunft denken, sagt Innungsgeschäftsführer Thomas Peter. Im Moment stimme Angebot und Nachfrage. Eine genaue Bedarfserhebung, was künftig gefragt ist, sei aber umso wichtiger. Nicht nur im sozialen Wohnbau, sondern auch weil man im Land der Häuslebauer vermehrt eine Verschiebung von Eigentum in Richtung Miete sehe.
Gehe das mit der guten Konjunktur so weiter, gibt Keckeis zudem zu bedenken, könne man auch nicht mehr alle Aufträge durch heimische Unternehmen stemmen, weil die Fachkräfte fehlen. Die Folge seien ausländische Unternehmen, die auf unseren Markt drängen. Deshalb liegen die Bestrebungen auf den Lehrlingen. Das trägt Früchte: Im ersten Lehrjahr stieg deren Zahl um 44 Prozent. VN-reh
Vorarlberger Baubranche
Aktuelle Aufträge (Vergleich zu November 2016) +6,59 Prozent
Aufträge 1. Halbjahr 2018 allgemein +2,73 %; Wohnbau +7,73 %; Industrie-/Gewerbebau -0,91 %; Öffentlicher Hochbau -1,59 %; Öffentl. Tiefbau -0,91%; Sanierung +6,36%
Umsatz/Bauproduktionswert 2016 638,6 Millionen Euro (+1,9 %)
Mitarbeiter 4000, 200 Lehrlinge