Hannes Androsch

Kommentar

Hannes Androsch

Wohlstandseinbruch

Markt / 27.05.2022 • 18:34 Uhr

Zahlreiche Schocks und Krisen haben uns eine Vielzahl von Problemen und Schwierigkeiten beschert. Hierzu gehört der mutwillige Überfall auf die Ukraine und die damit verbundene Bedrohung der europäischen Friedensordnung ebenso wie die Spätfolgen der Covid-19-Pandemie und die Lockdowns in China, die die Weltwirtschaft schwächen. Es droht eine Stagflation, wenn nicht gar eine dreifache, weil in China, den USA und Europa gleichzeitige Rezession, in jedem Fall aber werden wir einen beträchtlichen Wohlstandsverlust erleben.

Die hohe Teuerungsrate, getrieben vor allem durch die Preisexplosion bei Gas, Strom, Lebensmitteln, Mieten, spiegelt dies deutlich wider. Problematisch ist die Teuerung, weil sie nicht durch eine Übernachfrage, sondern durch Angebotslücken, Lieferengpässe und massive Preisanstiege bei importieren Gütern wie Erdöl, Erdgas oder Nahrungsmittel entstanden ist. Letzteres bringt, wie auch schon bei den Erdölschocks in den 70er Jahren, den Lieferländern beträchtliche Mehreinnahmen, bedeutet aber gleichzeitig für die Empfänger wesentlich höhere Preise und – noch gefährlicher – unter Umständen Versorgungslücken, jedenfalls aber eine empfindliche Wohlstandseinbuße. Letztere wirkt wie eine Steuererhöhung, die allerdings ins Ausland fließt und nicht kompensiert werden kann, wenngleich man den einkommensschwächsten Haushalten Unterstützung gewähren muss. Insgesamt kann man Wohlstandsverlust nur abmildern durch mehr Effizienz, höhere Produktivität und eine raschere Technologieumsetzung, um entsprechende Strukturverbesserungen zu erreichen, wie sie auch die Klimaneutralität und die Energiewende längst erfordern. Dafür wiederum braucht es sinnvolle Investitionen, insbesondere mehr Mittel für Wissenschaft und Forschung sowie endlich ein zeitgemäßes, zukunftsorientiertes Bildungs- und Ausbildungssystem sowie gezielte Weiterbildung.

Umfang und Komplexität der Herausforderungen erfordern ein Umsetzungskonzept, das die begrenzten Mittel nicht mit der Gießkanne verteilt, sondern gezielt einsetzt. Dabei ist nicht zu vermeiden, dass die Gürtel vorerst enger geschnallt werden müssen. Ebenso wird es notwendig sein, die Ärmel hochzukrempeln und anzupacken. Ähnliches ist schon in der Nachkriegs- und Wiederaufbauphase gelungen und bei den Erdöl- und Währungskrisen der 70er Jahre. Also muss es auch jetzt möglich sein. Wir brauchen einen Schulterschluss in unserem seit Jahren zurückfallenden Österreich und in Europa, um uns gegen tödliche Aggressionen wehren zu können und im Mächtespiel zwischen China und USA nicht zum Spielball zu werden.

„Es ist nicht zu vermeiden, dass die Gürtel vorerst enger geschnallt werden müssen.“

Hannes Androsch

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Dr. Hannes Androsch ist Finanz­minister i. R. und Unternehmer.