Ein Ende dem Klassenkampf
Pünktlich zu den Kollektivvertragsverhandlungen wird alle Jahre wieder der Klassenkampf heraufbeschworen. Die Gewerkschaft beklagt die Ausbeutung der Arbeiterschaft und fordert 11,6 % mehr Lohn – trotz teurer Regierungsmaßnahmen wie der Abschaffung der kalten Progression, Gebührenstopps, steuerfreien Einmalzahlungen und diversen Zuschüssen. Die Unternehmen sollen also die Inflationslast tragen, und das obwohl Wirtschaftsforschungsinstitute eine Rezession erkennen und die Inflation sowohl ArbeitgeberInnen wie auch ArbeitnehmerInnen schwer belastet. Als Arbeitgeber frage ich mich: Glaubt die Gewerkschaft das wirklich?
Das soll keineswegs geringschätzig klingen, doch die Welt und der Arbeitsmarkt haben sich seit den 80er-Jahren geändert und die Situation der ArbeitnehmerInnen sich erheblich verbessert. Die Gewerkschaft hat viele Rechte erstritten und es scheint, dass die enormen Gehaltsforderungen nun als Ersatz für die großen Erfolge von damals herhalten müssen.
Darüber hinaus sind Betriebe, insbesondere im familienfreundlichen Vorarlberg, sehr um das Wohlbefinden ihrer Mitarbeitenden bemüht. Der Arbeitskräftemangel, ausgelöst durch die ausländische Konkurrenz, steigende Pensionierungen und sinkende Geburtenzahlen, wird dafür sorgen, dass die Gehälter auch in Zukunft steigen, schließlich unterliegt auch der Arbeitsmarkt dem Prinzip von Angebot und Nachfrage. Wenn die Arbeitsumstände nicht passen, bekommt man eben keine Mitarbeitenden mehr. In Summe sagt ein Kollektivvertrag also oft weniger über die tatsächliche Entlohnung aus als gedacht. Dieses Mantra gilt jedoch nur, solange es Arbeit gibt. Angesichts der hohen Lohnforderungen ist das keineswegs sicher; bereits jetzt denken viele Betriebe über eine Verlegung ihrer Produktion nach. Hier ist also nachhaltiges Denken gefragt. Darum die Frage: Sind die heutigen Kollektivvertragsverhandlungen noch die richtige Antwort auf die Frage der Lohnverhandlungen?
Die Produkte unserer Betriebe sowie deren Lösungen für ihre Mitarbeitenden sind maßgeschneidert, der Kollektivvertrag ist Gießkanne. Es kann in unserer diversen Gesellschaft nicht in unserem Interesse sein, alles mit der Gießkanne zu regeln. Mindeststandards? Ja! Alles weitere? Das könnte auf betrieblicher Ebene besser geregelt werden. Es wäre also an der Zeit, das System an sich zu überdenken. Den Klassenkampf gibt es nicht mehr. Und die pauschale Lösung auch nicht.
„Wenn die Arbeitsumstände nicht passen, bekommt man eben keine Mitarbeitenden mehr.“
Martin Ohneberg
martin.ohneberg@vn.at
Martin Ohneberg ist CEO der HENN Industrial Group, früherer IV-Präsident und sitzt im Aufsichtsrat mehrerer Unternehmen.
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