Weshalb dem WKÖ-Präsidenten egal ist, welche Koalition Österreich regieren wird

Markt / 21.01.2024 • 21:30 Uhr
WKÖ-Chef Mahrer im VN-Interview: Mir ist relativ egal, wie eine Regierungskonstellation aussieht, wer mit wem koaliert, solange es das Land weiterbringt.  <span class="copyright">VN/RP</span>
WKÖ-Chef Mahrer im VN-Interview: Mir ist relativ egal, wie eine Regierungskonstellation aussieht, wer mit wem koaliert, solange es das Land weiterbringt.  VN/RP

Harald Mahrer warnt im Superwahljahr vor politischem Stillstand und Populismus.

Schwarzach Der Präsident der Wirtschaftskammer Österreich, Harald Mahrer, gehört zum politischen Inventar der Republik. Seit 2018 Präsident der Unternehmerinteressenvertretung, hat der 50-Jährige auch als Staatssekretär und Wirtschaftsminister in der SPÖ-ÖVP-Koalition gewirkt. Als Wirtschaftskammer-Präsident und damit einer der wichtigsten Proponenten der Sozialpartnerschaft kämpft er heute für deren Bedeutung und den Unternehmerstandort Österreich, den er zunehmend in Gefahr sieht, wie er im Gespräch mit den VN betont.

Harald Mahrer muss Flagge zeigen – die hohen Kosten am Standort Österreich sind nicht nur für ihn ein existenzbedrohendes Problem. <span class="copyright">VN/Paulitsch</span>
Harald Mahrer muss Flagge zeigen – die hohen Kosten am Standort Österreich sind nicht nur für ihn ein existenzbedrohendes Problem. VN/Paulitsch

Was muss geschehen, damit 2024 für die Wirtschaft ein gutes Jahr wird?

MAHRER Da muss sich einiges an den Rahmenbedingungen ändern. Ich glaube, seit den durchaus schwierigen Lohnverhandlungen im Herbst wissen wir alle, dass wir uns in die Zukunft blickend diese hohen Lohnstückkosten nicht leisten können. Gerade ein international exportorientiert erfolgreicher Standort wie Vorarlberg, ein Musterbundesland, muss da aufjaulen und sagen, wir werden zunehmend aus dem Markt gepreist. Die zweite zentrale Frage bleibt weiterhin die Frage der Energiekosten. Wir haben relativ hohe Energiekosten und die müssen halt auch runter. Und die dritte Rahmenbedingung ist die Frage, wie sieht es mit Zukunftsinvestitionen aus? Alle drei Faktoren sind wichtig. Bei allen drei Stellschrauben muss sich 2024 etwas tun.

„Österreich ist keine Festung. Deshalb wird man das Land nicht einmauern können.“

Harald Mahrer, Präsident der Wirtschaftskammer Österreich

Die Sachlichkeit wird in diesem Superwahljahr wahrscheinlich auch auf der Strecke bleiben . . .

Mahrer Ich bin kein Fan davon, dass wir 2024 ein Jahr durch Dauerwahlkampf verlieren. Die österreichischen Betriebe und ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die Bevölkerung, brauchen Regierungen, die agieren. Es ist meine große Sorge, dass wir 2024 ein Ultrapopulismusjahr haben werden und damit ein ganzes Jahr für Österreich verlieren. Überlegen Sie sich: Wir wählen vielleicht Ende September ganz normal, dann kommen Regierungsverhandlungen, dann muss man Programme ausarbeiten. Erst dann kommen, also Mitte 2025, die großen Entscheidungen für Österreich. Das würde heißen, wir verlieren mehr als ein Jahr. Das wäre für mich der absolute Wahnsinn. Das ist gerade in der jetzigen schwierigen Situation für Österreich ganz, ganz schlecht, wenn wir eineinhalb Jahre Lähmung haben.

Sie sorgen sich um die Wettbewerbsfähigkeit Österreichs. Ist eine Lohnnebenkostensenkung wichtig, um konkurrenzfähig zu bleiben?

Mahrer Das wäre unsere große Forderung jetzt. Wir haben uns das im Detail angesehen. Ich will mich da jetzt noch nicht öffentlich auf einen bestimmten Weg festlegen, weil das muss man ausverhandeln. Es gibt unterschiedliche Möglichkeiten, die Lohnnebenkosten zu senken, ohne dass es Einschränkungen irgendeiner Sozialleistung gibt. Ich bin kein Fan von einer Lohnnebenkostensenkung durch gleichzeitigen Sozialabbau. Da würde ich mich persönlich dagegen wehren. Die Arbeitgeber tragen ja auch ihren Teil zu den Sozialleistungen bei. Aber es gibt eine ganze Reihe von Lohnnebenkostenbestandteilen, die nichts zu tun haben mit originären Versicherungsleistungen. Jetzt muss man sich die Frage stellen, ob das noch zeitgemäß ist, wenn wir uns dadurch Marktchancen nehmen.

Mahrer zum Exportland Österreich: „Trotz toller Qualität preist man sich mit der derzeitigen Inflation mittelfristig aus dem Markt."
Mahrer zum Exportland Österreich: „Trotz toller Qualität preist man sich mit der derzeitigen Inflation mittelfristig aus dem Markt."

Und – ist es noch zeitgemäß?

Mahrer Am Ende des Tages kann uns das Abertausende Jobs kosten. Das muss man offen ansprechen. Das ist eine unangenehme Botschaft. Aber ich sage, es ist die Zeit für unangenehme Wahrheiten und nicht angenehme Unwahrheiten. Wir haben in der Politik ohnehin zu viele Beckenrandschwimmer und in Wirklichkeit feige Entscheider, die den Leuten immer zu erklären versuchen, dass alles eitel Wonne ist, weil sie den Wahltag fürchten. Also ich glaube, 2024 ist ein Jahr, in dem man sich wirklich anschauen muss, was ist Sache, was muss man daher für Entscheidungen treffen? Ich bin da auch sehr agnostisch und mir ist das relativ egal, wie eine Regierungskonstellation aussieht, wer mit wem koaliert, solange es das Land weiterbringt und die heißen Zukunftsthemen angegangen werden. Ich kann mir das bei den großartigen Umverteilern, deren einzige Strategie die Robin-Hood-Strategie ist, nicht vorstellen, dass die irgendwas weiterbringen. Die wollen ja immer nur denen was wegnehmen, die etwas leisten und den anderen etwas geben, die die Hand aufhalten. Auch Abschottungsstrategien kann ich nichts abgewinnen. Wir verdienen 60 Prozent der Wertschöpfung im Export, Österreich ist keine Festung. Deshalb wird man das Land nicht einmauern können. Die Debatten werden wir hart führen müssen.

Die Debatten haben ja gerade bei den Lohnnebenkosten schon angefangen.

MAHRER Ich glaube, dass die Gewerkschaft Angst hat, dass die Menschen weniger Geld haben. Bei Einschnitten im Sozialversicherungssystem verstehe ich die Angst und da sage ich nochmal dazu, das will ich auch nicht haben. Wir tragen gemeinsam in der Selbstverwaltung das System und wir wissen, dass die Bevölkerung älter wird. Ich will auch nicht, dass die Leute weniger Pension bekommen. Man muss sich andere Bestandteile ansehen, oder wie die Finanzierungsströme aussehen. Darüber werden wir diskutieren müssen, weil es da nicht um eine Frage der Umverteilung oder des Klassenkampfs geht, sondern schlichtweg um die Frage, ob wir in Zukunft Hunderttausende Jobs in Österreich im Bereich der exportierenden Industrie halten können. Und im Übrigen betrifft das in der Zwischenzeit auch das Gewerbe und den Handel, weil Preisweitergaben in bestimmten Bereichen gar nicht möglich sind, auch wenn man das immer glaubt. Aber die Konkurrenz ist so groß, dass das gar nicht geht. Oder denken Sie allein an den Buchhandel, der hat eine Buchpreisbindung, der kann Kostenstrukturen dieser Art nicht umwälzen. Wer das alles negiert und ausblendet, der betreibt meiner Meinung nach brutalen Populismus, weil es geht überall um Jobs, es geht überall um Arbeitsplätze. Die wollen wir ja halten.

Wenn wir uns die Inflationszahlen 2024 anschauen – wie kommt Österreich aus dem Fahrwasser hoher Inflation raus?

Mahrer Ich habe das Thema Energie schon angesprochen. Aber natürlich führen auch höhere Lohnabschlüsse, logischerweise auch im Dienstleistungsbereich, zu höheren Preisen. Wer das negiert, leidet unter Realitätsverlust. Aber das ist nur ein Faktor. Der andere Faktor, und darauf hat ja der WIFO-Experte Josef Baumgartner kürzlich hingewiesen: Italien hat im Vergleich zu Österreich deutlich niedrigere Energiepreise, sowohl beim Strom als auch beim Gas. Als Sozialpartner haben wir schon im April 2022 gefordert, man möge in die Merit-Order-Systematik eingreifen, eine nationalstaatliche Lösung finden und nicht erst warten, bis sich die hohen Energiepreise durch die gesamte Volkswirtschaft gefressen haben. Das heißt durch jedes Unternehmen, den gesamten Dienstleistungssektor bis zum Konsumenten. Dadurch müssen dann Regierungen auf Bundes- und Landesebene am Ende in Gutsherrenmanier großzügig subventionieren. Das halte ich nach wie vor für grundfalsch. Das sehen auch die Experten als einen ordentlichen Treiber für die höhere Inflation. So einen Eingriff in den Energiemarkt kann man immer angehen, es braucht nur den entsprechenden Willen. Dafür müsste man in der Zwischenzeit einen breiten Schulterschluss haben, weil Vorarlberg ein Musterexportbundesland ist, das stark betroffen ist. Trotz toller Qualität preist man sich mit der derzeitigen Inflation mittelfristig aus dem Markt. Das heißt, andere Konkurrenten werden dann zunehmend billiger und irgendwann stellt sich dann der Käufer die Frage, naja, verzichte ich ein bisschen auf Qualität, aber es ist woanders deutlich günstiger. Das hat schon angefangen. Wir bekommen genau dieses Feedback von unseren Betrieben in ganz Österreich. Das sollte alle Alarmglocken ganz, ganz laut läuten lassen.

Auch wenn Sie vor Populismus warnen – er feiert fröhliche Urstände in Österreich.

MAHRER Ich bringe Ihnen ein Beispiel: Der Plan A von Christian Kern vor sieben Jahren war eine Art Wunderwaffe für die Modernisierung des Landes im Verhältnis zu den rückwärts orientierten Ideen des Andreas Babler. Man sieht, wie groß selbst die Unterschiede in der SPÖ sind. Ich war damals in der Regierung, ich kenne den Plan von Christian Kern von damals im Detail. Da waren viele spannende Sachen drin, über die man hätte gut diskutieren können: Bildung, Forschung, Wirtschaft und Industrie. Alles, mit dem Andreas Babler bislang daherkommt, sind Ideen, die man in den 60er- und 70er-Jahren gehört hat. Aber wir haben uns halt 50 Jahre weiterentwickelt.

Wie beurteilen Sie die Regierungsarbeit, insbesondere jene der grünen Ressortleiter?

MAHRER Eben das ist das große Thema beim Bereich Energie und Energiemarkt. Ich hätte mir da auch weniger Populismus und weniger Polemik gewünscht. Uns ist die ganze Zeit vorgehalten worden, wir hätten dafür gesorgt, dass wir abhängig vom russischen Gas sind. Das ist eine totale Populismuserzählung, weil ganz Europa, von Italien über Deutschland über Österreich, all die große Industrieproduktionen haben seit den 70er-Jahren günstiges russisches Gas bezogen statt teureres Öl aus der Golf-Region. Da muss man sagen, das war eine strategische Entscheidung in vielen europäischen Ländern. Man kann sich ja unabhängig davon machen und aus anderen Ländern Gas beziehen. Dann muss man aber die notwendigen Leitungsprojekte schnell vorantreiben oder auch in die Märkte eingreifen, wenn es günstiger sein soll. Auch beim fossilen Bereich. Und das hätte man 2022 machen können, 2023 machen können und 2024 immer noch. Man muss halt nur den Mut haben zu sagen, Gas ist ein fossiler Energieträger und der wird uns noch eine Zeit lang als Brückenenergieträger begleiten. Man kann der Bevölkerung nicht vorgaukeln, dass von einem Tag auf den anderen alles mit erneuerbarer Energie lösbar ist, weil das geht schlichtweg nicht. Das ist halt auch eine unangenehme Wahrheit. Das sage ich nicht, weil ich ein Lobbyist für die Fossilen bin, ich will ja auch von den Fossilen weg. Ich bin aber auch so weit Realist, um zu wissen, dass es dafür eine Übergangszeit braucht. Das sind alles Dinge, die man ansprechen muss – sachlich, nicht ideologiebehaftet.

Zurück zum Thema Lohnnebenkosten: Die Diskussion fühlt sich nicht nach großem Zusammenschluss und gemeinsamer Sache an – schon eher wie Klassenkampf.

Mahrer Ich glaube, dass die Gewerkschaft Angst hat, dass die Menschen weniger Geld haben. Bei Einschnitten im Sozialversicherungssystem verstehe ich die Angst und da sage ich nochmal dazu, das will ich auch nicht haben. Wir tragen gemeinsam in der Selbstverwaltung das System und wir wissen, dass die Bevölkerung älter wird. Ich will auch nicht, dass die Leute weniger Pension bekommen. Man muss sich andere Bestandteile ansehen, oder wie die Finanzierungsströme aussehen. Darüber werden wir diskutieren müssen, weil es da nicht um eine Frage der Umverteilung oder des Klassenkampfs geht, sondern schlichtweg um die Frage, ob wir in Zukunft Hunderttausende Jobs in Österreich im Bereich der exportierenden Industrie halten können.

Im Übrigen betrifft das in der Zwischenzeit auch das Gewerbe und den Handel, weil Preisweitergaben in bestimmten Bereichen gar nicht möglich sind, auch wenn man das immer glaubt. Aber die Konkurrenz ist so groß, dass das gar nicht geht. Oder denken Sie allein an den Buchhandel, der hat eine Buchpreisbindung, der kann Kostenstrukturen dieser Art nicht umwälzen. Wer das alles negiert und ausblendet, der betreibt meiner Meinung nach brutalen Populismus, weil es geht überall um Jobs, es geht überall um Arbeitsplätze. Die wollen wir ja halten.

Es scheint, dass die Grünen, z. B. Umwelt- und Klimaschutzministerin Leonore Gewessler ihre Agenda zielstrebiger abarbeiten als die ÖVP…

Mahrer Es stehen viele große Fragen und viele Entscheidungen an. Vieles steht still, weil man sich da wechselseitig blockiert. Ich will nicht sagen, die ÖVP wehrt sich nicht, sondern die ÖVP versucht mit guten Argumenten und mit Hausverstand zu sagen, das macht für das Land keinen Sinn. Es gibt durchaus eine Reihe von Projekten, da hat man sich dann sachlich geeinigt.

Ich habe aber immer gesagt, ich hätte mir von der Koalition mit den Grünen mehr Sachlichkeit, mehr Wissenschaftsorientierung vorstellen können vor vier Jahren. Ich war dann verwundert, dass das in Deutschland anders funktioniert und populistische, ideologische Ansichten auch abgedreht werden. Ich sage, es gibt mehrere Alpenpässe, über die man reisen kann, um nach Rom zu kommen. Sich immer auf einen Weg zu versteifen, ist vielleicht das Schwierigste. Vielleicht ist das der Weg, der nicht die sicherste Route ist. Also man kann sich ja, wenn man unterschiedliche Routen zur Auswahl hat, auch für einen Weg entscheiden, wo die Seilschaft sicher über den Berg kommt. Da braucht man aber gute Bergführer, die sich auskennen, auf die man sich verlassen kann und eine gute Ausrüstung haben. Das braucht gute Vorbereitung und das geht nicht ad hoc, weil das Wetter kann sich jederzeit ändern, wenn man versucht den Gipfel zu erstürmen und dann auf der anderen Seite des Berges wieder rüber zu gehen. Der Russland-Ukraine-Krieg ist ein gutes Beispiel. Plötzlich bricht ein Krieg aus, verändert alle Rahmenbedingungen. Vor einem halben Jahr hat auch niemand damit gerechnet, dass man im Nahen Osten diesen Konflikt hat, der geopolitische Folgen haben wird und der auch viel Unsicherheit bedeutet. Man denke an die gesamten Lieferwege. Die Angriffe der aus dem Jemen kommenden Houthi-Rebellen auf die Schifffahrt gefährden die Lieferketten massiv. Das sind alles Themen, mit denen man nicht automatisch rechnet. Aber denen muss man sich nüchtern stellen und nicht ideologisch.

Der Tonfall zwischen den Sozialpartnern ist im Herbst deutlich rauer geworden, auch die Streiks. Da scheint etwas auseinanderzubrechen…

Mahrer Ich glaube das hat mehrere Komponenten, aber wenn es eng wird, wird es rauer, das ist logisch. Das war vorhersehbar. Man hat dann trotzdem zusammengefunden, unter sehr schwierigen Rahmenbedingungen. Aber nichtsdestotrotz gibt es die legitime Frage der Wettbewerbsfähigkeit und die kann man nicht ausblenden. Das war eine ziemliche Belastungsprobe im Herbst. Da gibt es jetzt durchaus offene Wunden. Jetzt muss man wieder ins Gespräch kommen und auch wirklich sachlich über bestimmte Dinge reden. Solche über Jahrzehnte bestehenden Partnerschaften, die in Österreich ja wichtig sind, die halten so eine Belastungsprobe aus, aber man muss sich dann auch wieder die Hand geben und in die Augen schauen können und sagen, okay, wie macht man das jetzt fest? Was können wir tun, um die Rahmenbedingungen zu verbessern? Wir kennen die Idee der Arbeitnehmerseite, dass man immer weniger arbeiten möchte, weil diese Erzählung die letzten Jahrzehnte irgendwie funktioniert hat. Jetzt gehen aber mehr Menschen in Pension, als am Arbeitsmarkt nachkommen. Das heißt, es entsteht eine demografische Lücke in den nächsten Jahren, die wird sehr groß werden. Daher kann man mit dem 32-Stunden-Woche-Märchen nicht hausieren gehen, sondern muss ehrlicherweise sagen, jeder wird ein bisschen mehr arbeiten müssen. Das ist eine unangenehme Botschaft, aber ich kann nicht sagen, ich will, dass niemand ins Land kommt, ich will, dass die Leute weniger machen. Wer macht dann die Arbeit? Auch das muss man thematisieren. Wir müssen das nüchtern besprechen. Ich verstehe, dass es schwierig ist, einen Perspektivenwechsel einzunehmen, weil es halt angenehm war, sich auf den Lorbeeren der Vergangenheit auszuruhen. Aber leider müssen wir unsere Position in einer zunehmend konkurrenzierenden Weltwirtschaft und auch in Europa einfach neu erkämpfen. Gerade in einem hochindustriellen und gut aufgestellten Bundesland wie Vorarlberg ist das im internationalen Wettbewerb eine zentrale Frage.

Die wichtigen Wirtschaftszahlen sind 2023 erstmals zurückgegangen, nachdem sie über Jahre kontinuierlich gestiegen sind. Die Wirtschaftskammer hat eine Kampagne gestartet für mehr Arbeit unter besseren Bedingungen.

Mahrer Vom Hand in den Schoß legen ist noch nie irgendwas geschaffen worden, sondern vom anpacken – mit besseren Rahmenbedingungen. Ich bin dafür, dass man mehr bei Überstunden machen kann, was die steuerlichen Anreize betrifft. Wer bereit ist, mehr zu tun, soll auch wirklich mehr Netto vom Brutto haben.

Das betrifft vor allem auch diejenigen, die sagen, ich will über das Regelpensionsalter hinaus arbeiten.

Mahrer Es ist eine sehr große Gruppe, die bereit ist zu sagen, ich arbeite noch einige Jahre weiter, oder die Hälfte, oder vielleicht nur zehn Stunden in der Woche, aber es muss sich echt auszahlen für mich. Ich bin der Meinung, die beste Lösung wäre, das Gehalt den Menschen Brutto für Netto auf die Pension drauf zu geben, denn sie sind schon über die Pensionsversicherung krankenversichert. Der Betrieb müsste nur mehr den kleinen Anteil Unfallversicherung zahlen. Das ist verwaltungstechnisch eine super Vereinfachung und wäre ein Anreiz. Fast 80 Prozent aus der Altersgruppe, die in den nächsten Jahren in Pension geht, sagen in einer repräsentativen Umfrage, sie könnten sich vorstellen, unter solchen Voraussetzungen länger zu arbeiten. Da muss man kraftvoll zupacken als Regierung und nicht nur sagen, man streicht den Arbeitnehmern die Pensionsversicherungsbeiträge. Das war ein erster Schritt, aber die Arbeitgeber zahlen sie weiter und die Pensionisten müssen das weiter voll versteuern. Das ist doch kein ausreichender Anreiz. Das ist doch eher ein Schildbürgerstreich. Wir haben 2023 erhoben, ob die Jungen tatsächlich weniger arbeiten wollen, weil oft gesagt wird, die Jungen sind nicht leistungsbereit. 70 Prozent der 16- bis 30-Jährigen sind bereit, mehr Überstunden zu machen, wenn sie dafür mehr Netto vom Brutto kriegen. Also da kann man nicht sagen, die Jungen sind alle faul. Nein, die können rechnen.

Brauchen wir trotz der schwierigen Wirtschaftslage nach wie vor mehr Fachkräfte?

Mahrer Selbstverständlich. Allein aufgrund der Tatsache, dass sich der demografische Wandel so vollzieht, wie er sich vollzieht, weil einfach mehr Ältere in Pension gehen als Jüngere nachkommen. Wir haben jetzt knapp 200.000 offene Stellen und wir haben viele Langzeitarbeitslose, die nicht das Bundesland wechseln wollen oder die sagen, ich habe in dem Bereich gelernt und ich will nichts anderes machen. Da ist schon viel probiert worden. Da bin ich nach wie vor der Meinung, da sollte man viel tun, Menschen aus der Beschäftigungslosigkeit in die Beschäftigung zu bekommen. Aber wenn wir ehrlich sind, wir werden vielleicht 10, 15 Prozent von diesen Menschen wirklich mobilisieren können, manche wollen auch gar nicht arbeiten. Jeden Zwang, den man versucht dort zu implementieren, wird nicht die Massen aktivieren. Jetzt wissen wir aber, dass wir weitere 300.000 offene Stellen bekommen in den nächsten 15 Jahren aufgrund dieser Altersverschiebung.

Wie löst man das Problem der Altersverschiebung?

Mahrer Qualifizierte Leute nach Österreich holen ist ein Thema. Ich bin dafür, wieder auf Lösungen zurückzugreifen, die schon mal gegriffen haben, nämlich Mitarbeiter auf Zeit nach Österreich holen, die kommen vielleicht auch gar nicht mit ihren Familien. Das Konzept der Gastarbeiter hat gut funktioniert und funktioniert gerade in Deutschland auch wieder. Die fahren gerade alle durch Österreich und arbeiten dann in Bayern, in Baden-Württemberg und fahren alle zwei Wochen wieder zurück. Die wollen gar nicht in Deutschland wohnen, sie würden viel lieber in Österreich arbeiten, weil das näher ist und sie hätten einen kürzeren Heimweg alle zwei Wochen. Aber wir sind zu dumm in Österreich, diese Lösung entweder zu kopieren oder noch attraktiver zu machen. Wir sind einfach zu langsam, da geht es nicht um Zuzug, es geht um viele tausend Menschen, die einfach temporär da sind, weil sie Geld verdienen wollen, weil sie fleißig sind. Die Angst, dass wir überschwemmt werden von Menschen, die dann alle ihre Familien mitbringen, verstehe ich, aber das kann man auch intelligenter lösen.

Danke für das Gespräch.